Die geraubte Braut
federgeschmückten Hut, als er sich im Sattel seines großen Fuchses spöttisch verbeugte. »Und wer reist unter dem Banner Granvilles? Wenn Ihr erlaubt …« Er zog eine Braue hoch.
Portia gab darauf keine Antwort. »Wollt Ihr uns entführen? Oder habt Ihr Mord im Sinn?«
»Ich schlage vor, wir wechseln Frage um Frage«, meinte Rufus verbindlich, nach dem Zaum ihres Pferdes knapp unter dem Biss fassend. »Aber wir wollen dieses faszinierende, wenngleich bislang wenig informative Gespräch irgendwo fortsetzen, wo man nicht dieser nervtötenden Kälte ausgesetzt ist.«
Kapitel 3
Portia reagierte, ohne zu überlegen. Sie hob die Gerte und schlug damit Decatur mit aller Kraft auf die Hand, so dass der Schlag seinen Lederhandschuh durchdrang. Mit einem überraschten Aufschrei ließ er den Zaum los, und Portia ergriff die Zügel, stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken und sprengte den Weg entlang, ohne zu wissen, wohin, da es sie nicht kümmerte. Und das alles, ehe Rufus begriff, was geschehen war.
Portia hörte ihn hinter sich, hörte, wie die Hufe seines Fuchses durch das dünne Eis über dem Schlamm zwischen den Wegfurchen brachen. Sie trieb ihr Pferd an, das in Panik von dem Getümmel den Kopf hochwarf und angstvoll davonsprengte. Hätte sie die Zügel lockergelassen, es wäre durchgegangen. Irgendwie behielt sie es in der Gewalt, tief über den Hals des Tieres geduckt, halb in Erwartung eines Musketenschusses.
Sie wusste, dass sie dieses Rennen nicht gewinnen konnte. Ihr Pferd, ein hübscher, feuriger Wallach, verfügte nicht über den ausgreifenden Schritt oder das Atemvolumen des Verfolgerpferdes. Wenn Rufus Decatur nicht aus irgendeinem Grund die Jagd aufgab, würde er sie rasch einholen. Bald aber merkte sie, dass ihr Verfolger sie nicht überholte und gleichmäßigen Abstand hielt. Aus irgendeinem Grund erboste dies Portia. Es war, als würde er mit ihr Katz und Maus spielen, um sie glauben zu machen, sie könne ihm entkommen, während er nur darauf wartete, zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen.
Sie faßte in ihren Stiefel und bekam den Griff ihres scharfen Dolches zu fassen, den Jack ihr aufgedrängt hatte, als er gemerkt hatte, dass sie reif genug war, um unwillkommene Aufmerksamkeit zu erregen. Immer war es nur um ihre Reife und nicht um ihre körperlichen Reize gegangen. Sie hatte rasch erfahren müssen, dass es Männer nicht störte, wenn ihre weibliche Beute zerlumpt, pockennarbig und hässlich wie die Sünde war, wenn sie Sex im Sinn hatten.
Allmählich faßte Portia die Zügel kürzer, und das Pferd wurde langsamer, während sie sich im Sattel aufrichtete. Nun waren die Hufe hinter ihr schon näher. Sie wartete, weil er so nahe herankommen sollte, dass er nicht rasch anhalten konnte. Ihr Verstand arbeitete kalt und klar, ihr Herz schlug stetig, ihr Atem ging leicht. Und doch war sie bereit, einen Mord zu begehen.
Mit einem Ruck zügelte sie ihr Pferd und vollführte im Sattel eine Drehung, den Dolch in der Hand, dessen Griff zwischen Zeige- und Mittelfinger ruhte und von ihrem Daumen festgehalten wurde.
Rufus Decatur war nun im richtigen Abstand, und sein Pferd war so schnell, wie sie gehofft hatte, damit es ihn vorübertrug, ehe er anhalten konnte. Sie sah seine erschrockene Miene, als er sich ihr einen Moment direkt gegenübersah. Sie zielte mit dem Dolch auf sein Herz.
Er traf seine Brust und durchdrang den dicken Umhang. Der Griff bebte. Portia starrte ihn wie gebannt an, momentan unfähig, ihr Pferd wieder anzuspornen. Sie hatte noch nie einen Menschen getötet.
»Jesus, Maria und heiliger Joseph!« rief Rufus Decatur mit einer für einen Toten viel zu kräftigen Stimme aus. Er zog den Dolch heraus und sah ihn erstaunt an. »Heilige Muttergottes!« Erstaunt musterte er die Reiterin. »Ihr wolltet mich erdolchen!«
Portia war ebenso verblüfft wie er, wenn auch aus anderen Gründen. Sie sah kein Blut an der Klinge. Gleich darauf war das Rätsel gelöst. Ihr so glimpflich davongekommenes Opfer schob den Umhang zur Seite und enthüllte ein wattiertes Koller, wie Soldaten es trugen. Es bot Schutz gegen Klingen und Pfeile, wenn auch nicht gegen Musketenkugeln.
»Ihr habt mich verfolgt«, sagte sie, ohne ihren Mordversuch zu rechtfertigen. Tatsächlich hörte sie sich so ungehalten an, wie ihr zumute war. »Ihr habt meine Eskorte entführt und mich verfolgt. Natürlich wollte ich Euch außer Gefecht setzen.«
Rufus dachte, dass die meisten jungen Mädchen in dieser Situation, falls sie
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