Die geraubte Braut
Blutbuche belebte. Sein Posten war einer von sechs, die den Fluss über eine Entfernung von zehn Meilen vom Dorf Decatur kontrollierten. Er entfachte ein Feuersignal, das von den Posten auf den Hügeln und von seinen Gefährten entlang des Flusses weitergegeben würde, ehe er sich enger in seinen pelzgefütterten Mantel hüllte, ohne das nahende Gefährt aus den Augen zu lassen.
Als der Schlitten an seinem Baum vorüberglitt, fiel ihm auf, dass die Gestalt, die ihn lenkte, die Stange geschickt zu handhaben verstand und der Schlitten so schnell dahin sauste, dass das Eis sang. Das Gefährt gehörte Bertram, dem Fallensteller, der seine Felle in Ewefell, etwa zwanzig Meilen flussabwärts, feilbot. Bertram würde wenig erfreut sein, sowohl den Schlitten als auch den Ertrag einer Woche Arbeit einzubüßen.
Allerdings würden der Schlitten und dessen Lenker nicht weit gelangen. Auf dem Hügel hatte der Posten mit einer Fackel bereits das Zeichen für den Empfang des Signals gegeben. Der Gebieter würde binnen zehn Minuten die Meldung bekommen.
Es dauerte weniger als zehn Minuten, um Rufus von der verbotenen Schlittenpartie zu unterrichten. Und er wusste in Sekundenschnelle, wer seinen Wachtposten während ihrer meist eintönigen Nachtwachen ein wenig Aufregung verschafft hatte.
Da er eben zu Tisch saß und hoffte, bei gutem Essen und Wein in Gesellschaft die Ärgernisse des Tages ein wenig zu vergessen, war diese Nachricht nicht dazu angetan, seine Laune zu heben. »Herrgott, wie weit glaubt sie zu kommen?« fragte er verdrossen in die Runde hinein. »Sie kann doch nicht im Ernst annehmen, sie könnte sich hier auf einem gestohlenen Schlitten unbemerkt davonmachen?«
»Sieht aber so aus«, bemerkte Will. »Soll ich sie zurückholen?«
»Nein, verdammt, das übernehme ich selbst.« Rufus schwang seine Beine über die Bank am langgestreckten Tisch und warf seine Serviette beiseite. »Dabei hat mir die Fischterrine so gut gemundet«, bemerkte er gereizt. »Ach was, soll der Teufel das Mädchen holen! Verdammt will ich sein, wenn ich mir mein Abendessen verderben lasse.« Er drehte sich wieder zum Tisch um und griff nach seiner Gabel. »Jed, hol mein Pferd. Ich lasse sie bis zum dritten Posten kommen, ehe wir sie aufhalten. Soll sie getrost glauben, sie käme davon«, knurrte er und setzte mit einem Anflug von Wildheit hinzu: »Dann wird der Schrecken um so größer.«
Jed, der Überbringer der Nachricht, salutierte und verließ die Kantine, um Ajax zu satteln.
Rufus verspeiste seine Fischterrine, doch konnte Will ihm ansehen, dass ihm der Appetit vergangen war, worauf sich bei ihm ein wenig Mitleid mit Mistress Portia Worth regte.
»Verdammt.« Rufus schob den leeren Teller von sich und stand auf. »Ich bringe es lieber hinter mich.« Er ging an die Tür und legte grimmig seinen Mantel um die Schultern. Eigentlich hätte er das Mädchen laufenlassen können, da es für ihn wertlos war, andererseits widerstrebte es ihm, sich von ihm übertölpeln zu lassen. Wenn er Portia Worth gehen lassen wollte, würde er es tun. Aber noch war er nicht bereit dazu. Außerdem hatte sie einen Schlitten mit Ladung gestohlen. Unter den Decatur-Leuten galt Diebstahl als Todsünde.
Jed stand mit Ajax an der Tür. Er hielt den Steigbügel fest, als Rufus sich in den Sattel schwang. »Ich will einen Läufer zu den Wachen schicken, Mylord. Man wird sie nicht aufhalten, ehe Ihr nicht den Befehl gebt.«
»Gut.« Der große dunkle Fuchs sprengte davon, als sein Reiter ihm die Sporen gab.
Der dritte Posten lag drei Meilen von dem Punkt entfernt, wo Portia losgefahren war. Rufus ritt den Fluss entlang, wobei er Abstand zum Ufer hielt. Er hatte viel Zeit. Ein kräftiger Mann brauchte etwa eine Stunde, um den Schlitten mit der Stange über diese Entfernung zu bringen. Unwillkürlich ertappte er sich dabei, dass er Bewunderung für den unbezähmbaren Mut des Mädchens empfand. Sie hatte offenbar keine Ahnung, wie weit sie fahren musste, ehe sie das Decatur-Gebiet hinter sich ließ.
Er erreichte den dritten Posten und zügelte sein Pferd unter dem Ausguck. »Wie weit ist sie?« rief er leise hinauf.
»Von hier etwa zweihundert Meter, Sir.«
Rufus ritt ans Ufer und verharrte dort reglos im Mondschein, um den Schlitten zu erwarten.
Portia sah ihn nicht sofort, da das Betätigen der Stange ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Was ihr anfangs leicht erschienen war, stellte sich nun als mühsam heraus. Armmuskeln und Schultern
Weitere Kostenlose Bücher