Die geraubte Braut
Umgebung«, antwortete er. »Wenn man sie finden kann, dann wird man sie finden.«
»Wird man Portia etwas antun?« Olivia fragte es drängend und mit flehendem Blick.
»Das will ich nicht hoffen«, war alles, was sie zu hören bekam.
»Kommt, Mylord. Das Kind braucht Schlaf.« Diana legte eine Hand auf seinen Arm und drängte ihn zur Tür. Er warf einen letzten Blick zum Bett. Olivia, die sich hingelegt hatte und die Augen geschlossen hielt, lag reglos wie eine Statue unter den weißen Decken da.
»Olivia, ich tue alles, was ich kann«, wiederholte er und wünschte dabei, er hätte mehr tun können. Dann folgte er seiner Gemahlin hinaus.
»Mylord … Mylord!« Er hörte Giles Cramptons dringenden Ruf hinter sich, als er sich in sein Arbeitszimmer im BasteiTurm begeben wollte.
Cato hielt inne. »Was gibt es?«
»Dies hier.« Giles schwenkte eine Pergamentrolle. »Es wurde eben abgegeben, Mylord.«
Cato überkam sofort eine böse Vorahnung, als er danach griff. »Wer hat es gebracht?«
»Ein Schäferjunge, Sir. Er sagte, ein Mann in Rüstung hätte es ihm gegeben und ihm aufgetragen, es nach Sonnenuntergang zu überbringen.«
Cato ließ ein leises Zungenschnalzen hören. »Vom Mädchen gibt es noch keine Spur, nehme ich an?« Er wandte sich zur Tür des Bastei-Gemaches.
»Sie ist spurlos verschwunden«, gab Giles zurück. »Niemand hat die Männer gesehen.«
Aber Cato schien ihn nicht mehr zu hören. Er starrte das Siegel der Pergamentrolle an. Der Adler des Hauses Rothbury. Die böse Vorahnung von vorhin hatte sich bewahrheitet. Ein Frösteln überlief ihn. Er erbrach das Siegel und entrollte das Pergament. Die Nachricht war knapp und nüchtern. Granvilles Tochter Olivia war als Geisel genommen worden. Als Preis für ihre Freilassung wurden sämtliche Einkünfte aus den Besitzungen der Rothburys gefordert, dazu eine genaue Abrechnung von jenem Zeitpunkt an, als die Verwaltung dieser Güter in die Hände Georges, Marquis of Granville, gelegt wurde.
Da brach Cato in begeistertes Gelächter aus und fand kein Ende. Sich biegend vor Lachen warf er sich in einen Sessel, total dem herrlichen Gefühl hingegeben, das die Schlappe seines Gegners ihm bereitete. An Olivias Stelle hatte Decatur eine namenlose Waise erwischt, ein völlig unbedeutendes Mädchen, das für niemanden von Wert war.
Er merkte, dass Giles ihn von der Tür aus verlegen beobachtete, offenbar in der Meinung, sein Herr hätte womöglich den Verstand verloren. Nachdem Cato ihm die Lage in wenigen Worten erläutert hatte, prustete Giles.
»Möchte wissen, was dieser Spitzbube nun machen wird, Sir.« Dann änderte sich sein Ausdruck, er kniff die Augen zusammen. »Das nenne ich aber einen Zufall, dass er sie zum zweiten Mal erwischt hat, meint Ihr nicht auch, Sir?«
Cato runzelte die Stirn. »Nur das erste Mal war ein Zufall, denn diesmal hatte er es nicht auf sie abgesehen, sondern auf Olivia.«
»Kann schon sein. Aber letztes Mal hat er ihr nichts getan. Ob er sie auch diesmal ungeschoren lässt?« Giles scharrte mit den Füßen. »Wer kann sagen, ob die beiden nicht unter einer Decke stecken? Vielleicht hat sie Lady Olivia dorthin locken sollen, wo man sie entführen konnte, aber etwas ging schief.«
Cato starrte den Sergeanten an. Der argwöhnische Giles hatte über Portias letzte Begegnung mit Decatur schon dunkle Andeutungen fallenlassen, doch war es undenkbar, dass sie sich in eine Decatur-Intrige hatte hineinziehen lassen … oder?
Was wusste man denn von Portia? Sie besaß keinen Penny und war auf seine Barmherzigkeit angewiesen. Vielleicht war sie bei der ersten Begegnung Decaturs Zauber verfallen. Sie wäre nicht die erste, der es so ergangen war.
Nachdem die Tür sich hinter Giles geschlossen hatte, ging er ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Im Geiste sah er die Hügel und den gewundenen, zum Schlupfwinkel Decaturs führenden Pfad so deutlich vor sich wie am helllichten Tag.
Der Zeitpunkt der endgültigen Abrechnung war nahe. Decatur gegen Granville. Catos Blick verhärtete sich, während er hinaus in die Nacht starrte.
Kapitel 8
Eine Stunde, nachdem man sie im Apfelspeicher zurückgelassen hatte, hörte Portia, wie die Haustür geschlossen wurde. Sie war noch immer in ihren schmutzigen und zerknitterten Mantel gehüllt und saß am Fußende des Bettes. Undeutlich nahm sie wahr, dass das Brennen in ihrem Gesicht nachgelassen hatte, aber irgendwie war sie nicht imstande, sich zu Bett zu begeben. Als hätten die
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