Die geraubte Braut
schmerzten, ihre Hände waren trotz der Handschuhe aufgeschürft. Erschöpft hob sie den Kopf und fragte sich, ob sie schon weit genug gekommen war, um eine Rast zu riskieren. Als sie plötzlich das große Pferd und seinen reglosen Reiter so dicht vor sich am Ufer aufragen sah, dass sie ihr Blickfeld ausfüllten, erschienen sie ihr wie Racheengel des jüngsten Gerichtes.
Ihr wurde übel. Ihre Handflächen wurden klamm. Es ist unfair, war ihr einziger Gedanke. Sie war ihrer Sache so sicher gewesen, und nun saß er da und erwartete sie triumphierend. Fast hätte sie vor Enttäuschung laut aufgeschrien, während ihre Angst sie zugleich erstarren ließ.
Ob es ihr gelingen würde, an ihm vorüberzugleiten, so schnell, dass sie ihm entkäme? Doch sie wusste, dass sie es mit seinem Hengst nicht aufnehmen konnte. Es wäre ein vergeblicher Versuch geblieben. Vergeblich und unwürdig, falls man in dieser grässlichen Situation noch von Würde reden konnte. Paradoxerweise verlieh ihre Angst ihr neuen Mut, und sie nahm sich fest vor, ihn nicht merken lassen, wie sehr sie sich fürchtete.
Portia hob die Stange vom Eis, und der Schlitten hielt mitten auf dem Fluss sanft an. Dann ließ sie sich auf dem Fellbündel nieder und wartete.
Rufus saß ab und betrat die Eisfläche. Vorsichtig ging er bis zum Schlitten und blickte auf sie hinunter. »Mistress Worth, was glaubt Ihr eigentlich, dass Ihr da tut?«
»Ich flüchte«, erwiderte Portia keck. »Was dachtet Ihr denn?«
»Zu diesem Schluss gelangte ich selbst«, sagte er daraufhin mit trügerisch freundlichem Lächeln. »Leider muss ich abermals feststellen, dass Ihr darin nicht sehr gut seid.«
Portia faltete schaudernd ihre Hände im Schoß. Sie spürte unter der Kleidung den Schweiß auf ihrer Haut trocknen. Da sie nun reglos dasaß, empfand sie die Kälte als messerscharf und wünschte, er würde nicht nur dastehen und sie mit seinem Raubtierlächeln und seinem nachdenklichen Blick ansehen. Dass er wütend war, spürte sie ebenso deutlich wie die scharfen Windstöße. Er hatte gesagt, dass er ein Mensch mit schwankendem Temperament sei, und sie hatte eine Andeutung dieses Temperaments schon etliche Male erlebt. Und jetzt quälte er sie, indem er sie im Ungewissen hielt. Seine Augen funkelten blau wie das Mondlicht, das sich in der Eisfläche spiegelte.
»Was werdet Ihr tun?« fragte sie.
»Tun?« Rufus zog eine Braue hoch. »Was würdet Ihr denn als angemessenes Vorgehen ansehen, Mistress Worth?«
Portia presste die Lippen zusammen. »Bringt es hinter Euch«, murmelte sie, wobei sie sich wünschte, sie hätte sich nicht hingesetzt und wäre auf den Beinen geblieben. Dass er nun so bedrohlich vor ihr aufragte, war ihrer Stimmung keineswegs zuträglich.
»Schlitten und Felle gehören Bertram.« Als Rufus mit dem Rücken einer behandschuhten Hand in die Fläche der anderen schlug, störten diese rhythmischen Geräusche die nächtliche Stille. »Er wird alles dort vorfinden wollen, wo er es hinterließ, also tut Ihr gut daran, Euch in Bewegung zu setzen.«
»Ich soll zurückfahren?« Portia sah ihn mit wachsendem Entsetzen an, als ihr aufging, was er meinte.
Er nickte. »Mistress Worth, Ihr müsst den Schlitten zurück zum Dorf bringen. Diebstahl wird bei uns nicht geduldet.«
»Aber das ist doch flussaufwärts!«
»Ja, sieht so aus.« Er trat zurück. »Ich reite am Ufer nebenher, für den Fall, dass Ihr wieder auf dumme Ideen kommen solltet.« Seine Zähne blitzten hell im Dunkel seines Bartes, doch war es beileibe kein freundliches Lächeln.
Portia warf einen Blick auf ihre Hände. Das Leder ihrer Handschuhe zeigte Risse, ihre Handflächen brannten. Wütend stand sie auf, griff nach der Stange und stieß sich ab. Der Schlitten rührte sich kaum von der Stelle, als wären die Kufen stumpf geworden oder mit Tüchern umwickelt. Sie biß sich auf die Lippen und stieß sich wieder ab.
Vom Ufer aus sah Rufus ihre Bemühungen eine Weile mit an, dann schwang er sich auf Ajax und ließ das Pferd im Schritt gehen, langsam wie der Schlitten. Allmählich legte sich sein Rachedurst. Das Mädchen war schon der Erschöpfung nahe gewesen, ehe es sich auf diesen Irrsinn eingelassen hatte. Was sie jetzt tun musste, musste für sie eine Qual sein. Wieder einmal regte sich widerwillig Bewunderung für ihren unbezwingbaren Kampfgeist. Ihm fiel ein, dass er auf Castle Granville zu ihr gesagt hatte, sie seien gleich, er und sie. Diese Erkenntnis besiegte seinen Zorn endgültig. Er
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