Die geraubte Braut
verloren.
»Konvention und Anstand gelten bei uns nicht«, erklärte er. »Aber wir sind bereit, auf die Schwächen anderer Rücksicht zu nehmen. Würdet Ihr wohl unter die Decke schlüpfen?«
Portia war sprachlos.
»Hinein!« Er hob sie hoch und legte sie einfach mitten aufs Bett. »Hinlegen.« Dann warf er Decken über sie. Als er sich selbst hinlegte, zog er eine dicke Felldecke über sich. Er nahm das freie Ende des Gürtels, um es mit einer Hand um sein Handgelenk zu wickeln, und sicherte es mit einem komplizierten Knoten, den die entsetzte Portia für unauflöslich hielt.
»So, jetzt kann ich sicher sein, dass ich geweckt werde, falls Ihr vor Tagesanbruch wieder auf Fluchtgedanken kommen solltet, Mistress Worth.«
Zu Portias unbeschreiblicher Verwunderung gähnte Rufus Decatur herzhaft und schlief sofort ein.
Eine Weile lag sie reglos da und wagte kaum zu atmen. Noch vor einer Minute hatte sie erwartet, vergewaltigt zu werden, und jetzt lag sie so behaglich und sicher im Bett, als schliefe Jack neben ihr. Im Laufe der Jahre hatte sie Zimmer und Betten, Laken und Decken mit Jack geteilt, hatte seinen röchelnden Atemzügen gelauscht, hatte manchmal selbst den Atem angehalten und als kleines Kind angstvoll auf den nächsten Atemzug gewartet, da es den Anschein hatte, er hätte zu atmen aufgehört. Sie konnte sich lebhaft an die unglaubliche Erleichterung erinnern, die sie jedes Mal erfasste, wenn das Gerassel wieder einsetzte, da sein trunkenes Schnarchen das einzige Wiegenlied war, das sie jemals in den Schlaf gesungen hatte.
Tränen brannten in ihren Augen. Sie wischte sie ab, ängstlich darauf bedacht, ihren Bettgenossen nicht zu wecken. Die Wärme des Bettes ergriff von ihren kalten, müden Gliedern Besitz, das tiefe Federbett um schmiegte sie. Sie spürte einen leichten, nicht unangenehmen Druck um die Mitte, und als sie sich versuchsweise auf die Seite drehte, ging es ganz leicht.
Ihr Bettgenosse schnarchte leise, und nun wurden auch ihre Lider so schwer, dass Portia glaubte, sie hätte keine Minute länger wach bleiben können, selbst wenn sie auf den Beinen gewesen wäre, anstatt sich in diese Nestwärme zu kuscheln.
Rufus erwachte nach ein paar Stunden kurz vor dem ersten Hahnenschrei. Er war immer Frühaufsteher, mochte die Nacht auch noch so kurz oder das Gelage noch so ausgelassen gewesen sein. Seine Bettgenossin lag zusammengerollt auf der Seite in einem gewissen Abstand von ihm und atmete tief und regelmäßig. Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete die schlafende Gestalt. Ein wenig kam er sich vor wie ein Voyeur, doch waren, ihre Begegnungen bislang so stürmisch ausgefallen, dass er sie nie in Ruhe hatte ansehen können. Und die vielen aufregenden Facetten, die Portia Worth ausmachten, reizten seine Neugierde.
Was Glück und Gunst betrafen, so hatte das Schicksal diesem Spross der Granvilles die schlechtesten Karten zugedacht. Nicht einmal die wohlwollendste Beschreibung hätte die grellrote Haarflut, die ein blasses, eckiges Gesicht umrahmte, als brünett oder kupferrot bezeichnen können. Ihre momentan geschlossenen Augen waren wohl das Schönste an ihr. Als Gegengewicht in der Skala der Negativpunkte wogen sie freilich jämmerlich wenig. Ihre körperlichen Reize waren jene Aspekte an Portia Worth, die von geringstem Interesse waren. Wer sich ihrem unbezwingbaren, trotzigen Wesen gegenübersah, schenkte ihren Zügen kaum Beachtung. Sie musste durch eine harte Schule gegangen sein, dachte er bei sich, und hat sie überstanden. Selbstmitleid gehörte nicht zu Portias Eigenschaften, obwohl sie weiß Gott genug Grund gehabt hätte, sich dem hin und wieder hinzugeben.
Er ertappte sich bei einem Lächeln und dachte ein wenig spöttisch, dass dies eine dumme Reaktion auf das Temperament seiner ihm vom Zufall zugespielten Geisel war. Das Pfand in seiner Hand war für ihn völlig wertlos. Dazu kam der Umstand, dass es sich nicht um ein fügsames, schüchternes Kind handelte, sondern um ein Geschöpf, das nicht daran dachte, sich ins Unvermeidliche zu fügen. Und das war der Gipfel.
Mit einem Ruck am Knoten löste er den Gürtel um sein Handgelenk und griff dann unter die Decke, um die Schnalle an Portias Taille zu öffnen. Er berührte Haut, seidenweiche, glatte Haut, so zart, dass seine Hand auch noch verweilte, als er merkte, dass ihr Nachthemd sich bis zur Taille hochgeschoben hatte und er die nackte Rundung ihres Gesäßes entlang strich. Die Klugheit riet ihm, sowohl Gürtel
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