Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
in Forum Iulii ihr erstes Herzogtum auf italischem Boden. Als »Dux« (Herzog) setzte Alboin seinen Neffen Gisulf ein.
Kurz darauf stürmten die Langobarden auch die küstennahe Metropole Aquileia, damals die Hauptstadt Venetiens. Deren Patriarch, berichtet Paulus Diaconus, sei »aus Furcht vor der Rohheit der Langobarden« mit »seinem ganzen Kirchenschatz« auf die vorgelagerte Laguneninsel Grado geflohen – unter den Schutz der oströmischen Truppen, die sich auf einen schmalen Küstenstreifen an der Adria zurückgezogen hatten.
Der Einmarsch des germanischen Stammes und die Gründung des »Ducatus Foro Iuliensis« ist eine von vielen eindrucksvollen Episoden, die der Gelehrte und Mönch Paulus mit dem Beinamen Diaconus in seiner aus sechs Büchern bestehenden »Historia Langobardorum« schildert. Der sprachgewandte Erzähler aus langobardischem Dienstadel wurde etwa 160 Jahre nach diesem Ereignis geboren – um 725, wahrscheinlich in Forum Iulii; jedenfalls wuchs er hier auf. Sein Ururgroßvater Leupchis war mit Alboin und Gisulf hierher gezogen.
Systematisch besetzten die Langobarden nach und nach große Teile Italiens. Der oströmische Kaiser Justin II . (565 bis 578) war in Kriege mit den Persern und in Spanien verstrickt, so dass seine wenigen in Italien stationierten Truppen die Invasoren nicht abwehren konnten. Alboin eroberte Vicenza und Brescia und quartierte sich in Verona im ehemaligen Palast des Ostgotenkönigs Theoderich ein, ehe er im Spätsommer 569 kampflos Mailand einnahm. Die Festung Pavia allerdings leistete drei Jahre lang Widerstand, ehe sie Anfang 572 kapitulierte. Pavia wurde zur Hauptstadt und blieb bis ins 11. Jahrhundert Krönungsstätte für das »Königreich der Langobarden« – das da allerdings seit langem nur noch nominell existierte.
Während Alboins Truppen Pavia belagerten, zogen langobardische Herzöge mit ihren »Farae«, den stammestypischen Familienverbänden, nach Mittel- und Unteritalien, wo sie zwischen 570 und 580 die Herzogtümer Spoleto und Benevent errichteten. Insgesamt zählt Paulus 35 langobardische Herzogtümer auf; die noch verbliebenen oströmischen Besitzungen in Italien zerfielen dadurch in mehrere isolierte Gebiete. »Die Losreißung Italiens von der byzantinischen Herrschaft gehört zu den fundamentalen historischen Entscheidungen, ohne die der weitere Gang der europäisch-abendländischen Geschichte schwer vorstellbar wäre«, urteilte der Mittelalter-Historiker Heinrich Schmidinger.
Pioniere dieses umwälzenden Vorgangs waren die Langobarden. Doch woher stammten sie? Und wie waren sie überhaupt bis nach Italien gelangt? Ob der Germanenstamm seine Wurzeln in Skandinavien hatte, wie seine eigene Legende besagte, kann auch der gewissenhaft recherchierende Paulus nicht erhellen; archäologische Belege dafür gibt es nicht.
Wie das Volk zu seinem Namen gekommen sein soll, schildert eine mündlich überlieferte Sage vom »Ursprung des Geschlechts der Langobarden«, die im 7. Jahrhundert niedergeschrieben wurde und die auch Paulus als Quelle diente – von der er sich freilich entschieden distanziert: Das sei »eine einfältige Geschichte«. Sie wurde so erzählt: In grauer Vorzeit hätten die Langobarden Winniler geheißen; wie andere Germanen hätten sie den Gott Wotan verehrt. Die Vandalen, mit denen sie Krieg führten, hätten von Wotan den Sieg über die Winniler verlangt. Wotan, referiert Paulus, habe geantwortet, »er werde den Sieg denen schenken, die er bei Sonnenaufgang zuerst zu Gesicht bekommen habe«. Freia, die Gattin Wotans, habe daraufhin den Winnilern listig geraten, ihre Frauen sollten »ihre offenen Haare wie Bärte um das Gesicht legen, ganz früh mit den Männern vor Ort sein und sich, von Wotan nicht zu übersehen, gemeinsam mit ihnen in der Richtung, in der er gewöhnlich zum Fenster nach Osten hinausschaue, aufstellen«. Als Wotan den Menschenauflauf bei Sonnenaufgang erblickte, habe er gesagt: »Wer sind denn diese Langbärte?« Da habe Freia vorgeschlagen, dass er den Leuten, denen er einen Namen verliehen habe, doch auch den Sieg schenken solle. »Und so habe Wotan den Winnilern den Sieg zugesprochen.«
Das seien natürlich »Kindergeschichten, die man nicht für bare Münze nehmen darf«, kommentiert Paulus. »Sicher« sei jedoch, »dass die Langobarden nach der von keinem Rasiermesser berührten Länge ihrer Bärte fortan so bezeichnet wurden«. Gewiss ist nach neuerer Forschung auch das nicht: Der Name könnte ebenso von
Weitere Kostenlose Bücher