Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
einstufte. War das die grausame Unterjochung, von der Beda und Gildas berichtet hatten?
Zwar gab es Aufstände gegen die Fremden, und im gebirgigen Norden und Westen des Landes lebte die keltische Kultur ungebrochen weiter. Doch vieles spricht auch dafür, dass sich mit der Zeit Herrscher und Beherrschte kulturell anglichen. Das tritt besonders in der Sprache hervor. Viele Ortsnamen lassen sich bis heute auf germanische Siedlungen zurückführen. Und während auf dem Kontinent aus dem Lateinischen romanische Sprachen entstanden, verschwand auf der Insel die Sprache der Römer weitgehend: Aus germanischen Dialekten entwickelte sich das Altenglische zu einer Art einigender Standardsprache.
Zudem nahmen die Angelsachsen auch viele kulturelle Impulse vom Festland auf. Wichtigste Einwirkung von außen war die Christianisierung, die Papst Gregor I . ab 597 vorantrieb. Weitsichtig empfahl er einem seiner Missionare, in Britannien nicht zu radikal vorzugehen: Er solle zwar »die Götzenbilder zerstören«, die heidnischen Tempel aber lieber nicht abreißen, sondern nur mit Weihwasser besprengen. Tiere sollten künftig nicht mehr dem Tempel geopfert werden, dürften dort aber »zum Lob Gottes« gegessen werden. Die Gratwanderung gelang, auch wenn sich die religiösen Riten mitunter vermischten. Doch schon bald brachen Missionare von der nun bekehrten Insel zu den germanischen Heiden in Richtung Festland auf. Langfristig einigte also auch die Religion das Land – ebenso wie ein gemeinsamer Feind: Ab Ende des 8. Jahrhunderts verwüsteten Wikinger immer häufiger auf Raubzügen die englischen Küsten und planten offenbar, die ganze Insel zu erobern. In dieser Notlage ließ der westsächsische König Alfred im Eiltempo Dutzende von Orten und Burgen befestigen. Geschickt bündelte er die militärischen Kräfte der sonst so zerstrittenen Königtümer. Nur so konnte er die Wikinger schlagen und dauerhaft verhindern, dass sie Britannien eroberten. »Alfred der Große« wurde fortan als Volksheld verehrt – ein ferner Nachfahr einst verhasster Invasoren, der nun selbst eine Invasion verhindert hatte.
Lockruf des Südens
Cividale im Friaul, einst erstes Herzogtum der Langobarden in Italien, beherbergt kostbare Schätze aus dieser Epoche. Paulus Diaconus, ein Sohn dieser Stadt, hat die Geschichte seines Volkes aufgeschrieben.
Von Norbert F. Pötzl
Die Eindringlinge kamen durch den Birnbaumer Wald im heutigen Slowenien. Eine Wanderlawine von 100000 Menschen, vielleicht waren es auch doppelt so viele, wälzte sich von Osten her über den niedrigen Pass. Im Frühjahr 568 überschritten die Langobarden-Krieger, deren Familien in Karren folgten, den Fluss Isonzo über die Römerbrücke südlich von Gorizia und drangen in Venetien ein. Denn hier, so schildert es der langobardische Geschichtsschreiber Paulus Diaconus, wo das »vom Tyrrhenischen und Adriatischen Meer umschlossene« und »durch die Alpen abgeriegelte« Italien »sich mit Pannonien berührt, bietet es ziemlich offenen und recht einfachen Zugang«. Durch dieses Einfallstor waren schon die Markomannen und Quaden, später Alarichs Westgoten, Attilas Hunnen und Theoderichs Ostgoten auf die Halbinsel gezogen. Anders als diese Völker, die in der Regel raubend und verwüstend durchs Land geschweift waren, wollten sich die Langobarden hier dauerhaft niederlassen.
Als König Alboin »mit seinem ganzen Heer und einer bunten Menge Volks im Grenzgebiet angekommen war«, schreibt Paulus Diaconus, »bestieg er einen Berg, der jene Gegend überragt, und betrachtete von dort aus ein Stück Italien, so weit sein Auge reichte« – der christliche Autor, mit Sinn für Symbolik, bemüht das biblische Bild von Mose, der sein Volk ins gelobte Land führt. Schließlich erreichte der gewaltige Treck, »ohne auf irgendwelchen Widerstand zu treffen«, die erste befestigte Stadt in dem von Byzanz regierten Reich: Forum Iulii, das heutige Cividale del Friuli.
Der Ort war aufgrund seiner günstigen Lage – einerseits durch Verkehrswege gut zugänglich, andererseits geschützt auf einer Anhöhe über dem tief eingeschnittenen Flusstal des Natisone – schon in frühgeschichtlicher Zeit von Kelten besiedelt gewesen, wie eine unterirdische Grabhöhle am Flussufer belegt. Und genau hier hatte Julius Cäsar um das Jahr 50 vor Christus einen Handelsposten gegründet, der nach ihm benannt wurde. Um sich gegen möglicherweise auf demselben Weg nachsetzende Feinde abzusichern, errichteten die Langobarden
Weitere Kostenlose Bücher