Die gesandte der Köingin Tess 2
ihre Fußfessel erreichen konnte. Irgendwann nach unserer Ankunft auf der Insel hatten sie ihr die Stiefel abgenommen. Lautlos begann ich, an ihrer Fessel zu arbeiten, wobei ich sehr vorsichtig war, damit ich ihre blasse Haut nicht verletzte. Wenn es uns jetzt noch gelänge, Alex zu befreien, könnten wir uns davonschleichen und ein Versteck suchen. Wie es dann weitergehen sollte, darüber würde ich mir später Gedanken machen.
Contessa zog sich ihre Decke fester um die Schultern. »Bitte sei nicht böse auf mich, Tess. Aber ich traue Duncan nicht.«
Meine Finger waren verkrampft, und ich hielt inne, blickte zu ihr auf und sah ihre klägliche Miene bei diesem Geständnis. »Du traust ihm nicht?«, wiederholte ich, und mein Rücken und die Schulter schmerzten. »Nach allem, was er für uns getan hat? Und auch jetzt noch tut? Allein seinetwegen bin ich noch am Leben.« Und dank Jeck, aber darüber müssen wir wirklich nicht sprechen.
Sie sog die Lippen zwischen die Zähne und hielt den Blick auf den Mond gerichtet. »Ich weiß, dass du ihn magst, und ich glaube, er mag dich auch, aber …«
Verärgert wandte ich mich wieder ihrem Seil zu, dessen Stränge einer nach dem anderen rissen. »Aber was? Ist es das Diebesmal?«, fragte ich. »Ich habe dir doch gesagt, dass er es fälschlicherweise bekommen hat. Ein vermeintlicher Freund hat ihn hereingelegt und Duncan die Schuld für seine Dieberei in die Schuhe geschoben. Unter all dem Straßenstaub ist Duncan ein guter Mann.«
Ihre Fessel war durch, und ich seufzte erleichtert auf. Sie senkte die Hand und rieb sich den Knöchel. »Du hast recht«, sagte sie. »Schon gut.«
Ich saß im Sand, und schon von dieser geringen Anstrengung raste mein Puls. Sie hatte gesagt, es sei schon gut, aber eigentlich hätte sie etwas anderes sagen wollen, und ich brauchte keine Magie, um das zu erkennen. »Liegt es daran, dass er vorher auf der Straße gelebt hat?«, fragte ich streitlustig. »Denn da würde ich wohl auch leben, wenn Kavenlow nicht gewesen wäre.«
Contessas Gesicht wirkte im Mondschein verkniffen, und sie zog den Kopf ein. »Es tut mir leid. Ich hätte das gar nicht erst zur Sprache bringen dürfen. Ich habe ihn beobachtet, und ja, er mag dich. Er gibt für dich fast so viel Geld aus wie für sich selbst, und das will bei ihm schon etwas heißen. Es ist offensichtlich, dass er sehr viel von dir hält und nicht will, dass dir irgendetwas geschieht. Aber er … er …«
Ich rieb mir die Knöchel und war froh, endlich frei zu sein. Ich wollte fliehen, aber erst musste ich wieder zu Atem kommen. Also wartete ich schweigend.
Sie stieß den angehaltenen Atem aus. »Als du gebissen wurdest«, fuhr sie zögerlich fort, »und der Punta entkam, da war er als Erster unten in der Grube. Er hat dir das Leben gerettet, aber, Tess, es war beinahe so, als wärst du für ihn ein Gegenstand. Etwas Kostbares, das er in seinem Zimmer aufstellen will und das seine Zukunft sichern soll. Er hat hart um dich gekämpft, denn die Mannschaft wollte dich da unten liegen lassen und die Grube zuschütten, aber da war Gier in seiner Stimme, keine Liebe.«
Ich beobachtete ihren besorgten, kummervollen Blick, lauschte -und wog ihr schwer fassbares, aber sehr genaues Gespür für Menschen gegen seine Berührung ab, gegen die mitfühlende Pein in seiner Stimme, als er mir Schmerzen zufügen musste, um mir das Leben zu retten. »Er war fast sein ganzes Leben lang hungrig«, erklärte ich zögerlich. »Vielleicht kann er nur auf diese Art ausdrücken, dass er jemanden braucht«, sagte ich, und sie schlug die Augen nieder und rückte ihr Kleid um die angezogenen Knie zurecht.
»Wir sollten Alex befreien und uns ein Versteck suchen, wo wir sicher sind, bis der Palast uns findet«, sagte ich und stand ungelenk auf. Ich ließ die Enden ihrer Fessel neben ihr in den Sand fallen, streckte ihr meine gesunde linke Hand entgegen und zog sie hoch. Das Essen, das ich heute zu mir genommen hatte, verlieh mir neue Kraft, und die Freiheit, die jenseits des dunklen Urwalds auf uns wartete, wirkte besser als jeder Stärkungstrank.
Contessa klopfte sich den Sand vom Rock und warf einen Blick zu den fernen Kohlen des Lagerfeuers hinüber. Ein Rascheln im Gebüsch neben uns ließ sie erschrocken nach Luft schnappen. Mit hämmerndem Puls fuhr ich herum und hielt ihr den Mund zu.
»Oder«, drang Jecks Stimme aus der Dunkelheit zu uns, »Ihr rudert zur Strandläufer hinaus und lasst Euch gleich von hier
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