Die gesandte der Köingin Tess 2
und dick wäre und dich schlagen würde, so dass du blaue Flecken unter deinem Kleid verbergen müsstest. Dann würde dir niemand Vorwürfe machen, wenn du dein Glück anderswo in deinem Hofstaat suchtest.«
»Aber Alex ist so …«, begann Contessa. »Er ist so …«
»Er ist ein Prinz von Misdev«, beendete ich den Satz für sie und nahm meine Sägearbeit wieder auf. »Gesund an Körper und Geist. Höflich und freundlich. Er bringt dich zum Lachen und ist bereit, für dich zu sterben, ohne dass du ihm im Gegenzug irgendetwas versprochen hättest. Gott steh dir bei, Contessa, eine glücklichere Verbindung könntest du dir gar nicht wünschen. Ich weiß, du liebst Thadd, aber du musst dich den Tatsachen stellen.«
Contessa wandte sich mir zu und sah aus wie eine jüngere Ausgabe unserer Mutter. Die nächtlichen Schatten verbargen die Spuren von Hunger und Angst und ließen sie wunderschön erscheinen. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand sie. »Ich habe Thadd doch versprochen –«
»Ich kann dir nicht sagen, was du tun solltest«, unterbrach ich sie. »Ich weiß es auch nicht. Aber unsere Eltern haben einander geliebt, und das hat sie sehr viel stärker gemacht.«
»Sie wussten ja auch lange vorher, dass sie einen fremden Menschen heiraten würden«, wandte sie verbittert ein. »Sie sind keine Bindung zu irgendjemand anderem eingegangen. Ich schon. Ich kann Thadd nicht einfach verlassen, weil – sich für mich etwas Besseres ergeben hat.«
»Das ist unfair«, erklärte ich knapp, denn ich hatte ihr Gejammer satt. »Und Vater …« Ich holte tief Luft und bat Vater, mir die Lüge zu verzeihen. »Vater hat genau das getan.«
Sie machte große Augen.
Ich nickte, konnte aber ihrem Blick nicht standhalten. »Vater hatte eine Kurtisane, die er sehr geliebt hat«, log ich. »Niemand spricht von ihr, und alle leugnen, dass es sie je gegeben hat. Mutter soll sehr höflich gewesen sein, obwohl es sie innerlich zerrissen haben muss. Vater hat Mutter lieb gewonnen und irgendwann erkannt, welches Leid er ihr zufügte. Und deshalb hat er schließlich seine Geliebte gebeten, den Hof zu verlassen.«
Ich sägte an meiner Fessel herum, ohne erkennen zu können, ob sie von Schweiß oder Blut so feucht geworden war. »Das gehörte gewiss zu den schwersten Dingen, die er je im Leben tun musste«, fuhr ich leise fort. »Er hat ihr angeboten, ihr ein prächtiges Haus mit Dienerschaft einzurichten, aber sie ist eines Nachts einfach aus dem Palast verschwunden, und er hat sie gehen lassen, ohne nach ihr zu suchen. Ich glaube, das war die beste Entscheidung, die er für die Sicherheit des Reiches je getroffen hat.«
»Wie meinst du das?«, fragte Contessa, und ich konnte den Kummer in ihrer Stimme hören – sie verstand sehr wohl, was ich ihr damit raten wollte.
Ich blickte auf und schaute dann wieder auf das Seil hinab. Es war schon beinahe ganz durch.
»Als sie weg war, heilte Mutters verletzter Stolz. Die Liebe der beiden wuchs, und schließlich vertrauten sie einander vollkommen. Kein machtgieriger Adliger hatte je eine Chance, einen Keil zwischen sie zu treiben, um den Thron zu spalten und politischen Unruhen eine Basis zu schaffen.«
»Oh«, flüsterte sie und legte sich die Finger auf die Lippen. »Das war mir nicht klar.«
Ich nickte zufrieden. »Der Palast stand fest und einig da, und das Volk fühlte sich sicher. Glückliche Menschen hören nicht auf Aufrührer, die eine Rebellion anzetteln wollen.«
»Ich kann Thadd nicht fortschicken«, platzte sie heraus.
»Und ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst«, wiederholte ich. »Niemand erwartet von dir, dass dir alle Entscheidungen auch noch gefallen, die du treffen musst.«
»Aber du warst doch auch einmal Kronprinzessin«, sagte sie. »Ist es bei dir nie vorgekommen, dass die Bedürfnisse des Königreichs deinen eigenen Wünschen zuwiderliefen? Was hast du dann getan? Wie hast du dich entschieden?«
Ich seufzte und schüttelte kurz meine linke Hand aus, ehe ich an dem Seil weiterarbeitete. »Ich habe mir keine eigenen Wünsche erlaubt«, flüsterte ich. Das laut einzugestehen war vermutlich der absolute Tiefpunkt meiner persönlichen Würde.
Sie senkte den Kopf und schniefte. »Das kannst du nicht behaupten. Ich habe gesehen, wie du Duncan geküsst hast«, sagte sie, und meine Wangen wurden heiß.
Das Seil zerriss plötzlich, ich fiel nach vorn und landete mit den Fingerknöcheln im Sand. Contessa schob ihre zarten Füße zu mir hin, so dass ich
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