Die Geschichte der Deutschen
längerfristiges parteipolitisches Nachspiel. Einige Abgeordnete in der SPD-Reichstagsfraktion wehren sich gegen die Bewilligung der Kriegskredite. Zwar beugen sie sich der Fraktionsdisziplin und stimmen in der entscheidenden Reichstagssitzung am 4. August zu. Aber es zeichnet sich schon in diesen Wochen die Spaltung innerhalb der SPD ab, die dann 1917 zur Gründung einer zweiten, links von den Sozialdemokraten stehenden Arbeiterpartei führt.
Vier Jahre dauert der Krieg. Angesichts der feindlichen Übermacht hätte ihn Deutschland nur unter äußerst glücklichen Umständen ohne Niederlage beenden können. Ein Sieg gegen drei europäische Großmächte, an deren Seite dann auch noch Amerika treten wird, liegt von Anfang an außerhalb aller realistischen Möglichkeiten. Schon im Dezember 1914, als die deutschen Kräfte sich an der Marne festgerannt haben, wird deutlich, dass die Strategie des Generalstabes nicht aufgeht. Es ist das eingetreten, was Berlin unbedingt vermeiden wollte: Ein langer Abnutzungskrieg beginnt. Für eine solche Auseinandersetzung aber fehlen selbst der Wirtschaftsmacht Deutschland die Ressourcen. Niemand kann über Jahre hinaus die Waffenindustrie mit ausreichenden Rohstoffen und die Bevölkerung mit genügend Nahrungsmitteln versorgen.
Trotzdem ziehen die Deutschen mit Hurra-Geschrei in die Schlacht. Grundlage der Militärstrategie ist seit 1905 der nach ihrem Schöpfer benannte Schlieffen-Plan. Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen schlug vor, im Falle eines Zwei-Fronten-Krieges die Hauptmacht der Armee in einer großen Zangenbewegung gegen Paris vorstoßen zu lassen, die Hauptstadt einzuschließen und damit |192| innerhalb kurzer Zeit den Krieg an der Westfront zu beenden. In dieser Phase, so der Schlieffen-Plan, bleibt die Ostfront relativ ungeschützt, was der deutschen Militärführung kaum Sorgen bereitet: Sie rechnet damit, dass der Aufmarsch Russlands schwerfällig und langsam vonstatten geht. Nach dem schnellen Sieg im Westen sollen sich dann die deutschen Armeen mit voller Wucht nach Osten wenden und Russland schlagen.
Der Schlieffen-Plan scheitert auf ganzer Linie. Wer vom Norden auf Paris vorrücken will, muss über Belgien einmarschieren – und den Kriegseintritt Englands provozieren. Es ist rätselhaft, warum sich die deutschen Diplomaten und der Kaiser ausgerechnet in dieser Frage Illusionen machen. Aber dies bleibt nicht der einzige Trugschluss. Auch die Kampfkraft der französischen Armee unterschätzen sie erheblich. Diese stoppt den Vormarsch bereits an der Marne und vereitelt damit die geplante schnelle Kapitulation Frankreichs. Die russische Mobilmachung verläuft wesentlich reibungsloser als erwartet. Die feindlichen Armeen fluten in das fast ungeschützte Ostpreußen hinein. Die deutsche Führung muss früher als geplant Truppen von der Westfront abziehen. Zwar gelingt es dem nach Ostpreußen abkommandierten General Paul von Hindenburg und seinem Generalquartiermeister Erich Ludendorff in den Schlachten von Tannenberg und an den Masurischen Seen die Armeen des Zaren zu schlagen und die russische Invasion in Ostpreußen zu stoppen, aber das ändert nichts daran, dass der Krieg schon in seiner Frühphase festgefahren ist.
In Flandern und in den Schützengräben von Verdun verbeißen sich die Gegner in den kommenden Monaten und Jahren in verlustreiche Abwehr- und Angriffsschlachten. Tagelanger Artilleriebeschuss verwandelt die Wälder und Felder in riesige Kraterlandschaften. Schlamm, Schmutz, Rattenplagen, ohrenbetäubender Lärm des Kanonenfeuers und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden begleiten die Kämpfe. Hunderttausende Deutsche, Franzosen und Engländer finden bei den Versuchen, irgendeinen Hügel zu stürmen oder ein paar 100 Meter feindlichen Geländes zu gewinnen, den Tod. Heute noch zeugt ein Meer von weißen Kreuzen in der Umgegend von Verdun davon, wie viele Menschen den verfehlten militärischen Strategien, die der Generalstab am Kommandotisch entwickelte, zum Opfer fielen. Als sich die Fronten gar nicht mehr bewegen, greifen die Deutschen zu nicht konventionellen Waffen. Die Haager Landkriegsordnung von 1907 untersagt ausdrücklich den Einsatz chemischer Kampfstoffe. Es sind die deutschen Oberbefehlshaber, die sich erstmals nicht daran halten. Im April 1915 verwenden sie im belgischen Ypern Chlorgaswaffen. Tausende von Soldaten sterben einen qualvollen Tod, Zehntausende erleiden |193| schwerste Verletzungen. Die Gegner kontern mit nicht
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