Die Geschichte der Deutschen
hätte ihn für verrückt erklärt. Und doch ist es die Wahrheit.
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Der Erste Weltkrieg
Der 28. Juni 1914 ist in der Provinz Bosnien-Herzegowina ein heißer Sommertag. Vor fünf Jahren hat Wien dieses von nationalen Unruhen heimgesuchte Gebiet mit Unterstützung Deutschlands annektiert. Staub und Hitze lasten auf der heruntergekommenen Hauptstadt Sarajevo, als der Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Gemahlin Sophie auf dem Weg zu einem Empfang im Rathaus ist. Sie fahren im offenen Wagen. Am Straßenrand langweilen sich die wenigen Zuschauer und die zur Sicherheit des hohen Gastes aufgereihten Polizisten. Plötzlich springt ein Mann auf das Fahrzeug zu, Schüsse krachen, wenige Minuten später erliegen der Erzherzog und seine Frau ihren Verletzungen. Der bosnische Student Gavrilo Princip, Mitglied der großserbischen Geheimorganisation »Schwarze Hand«, löst mit diesem Attentat eine Krise aus, die innerhalb von vier Wochen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führt.
Österreich beschuldigt sofort die serbische Regierung, hinter den Morden zu stecken. Was nicht stimmt, aber Belgrad hat wohl Informationen über einen möglichen Anschlag zurückgehalten und weder den Thronfolger noch die österreichischen Sicherheitskräfte gewarnt. Während Telegramme zwischen den |187| Hauptstädten Europas hin und her fliegen und in hektischen Kabinettssitzungen die Lage erörtert wird, arbeiten die Wiener Ministerien schwerfällig und zögern so eine schnelle, regional eng begrenzte militärische Aktion hinaus. Doch die Stimmung in Österreich ist ohnehin eindeutig. »Es müsse einmal gründlich mit den Serben abgerechnet werden«, beschreibt der deutsche Botschafter die Haltung der Habsburger Politiker und Militärs nach dem Attentat von Sarajevo. Wien sieht seine Position auf dem Balkan schon seit geraumer Weile geschwächt und brennt darauf, Stärke zu demonstrieren.
Am 23. Juli stellt Österreich ein Ultimatum an Serbien. Es enthält Forderungen, von denen die Diplomaten in der Wiener Hofburg glauben, sie seien unannehmbar. Verlangt wird die Bestrafung aller Personen, die an dem Attentat beteiligt waren. Ferner soll die serbische Regierung alle anti-österreichischen Umtriebe im Land mit strengen Maßnahmen unterdrücken. Das Ultimatum wird höflich und in weiten Teilen zustimmend beantwortet. Dennoch weist Österreich alle Bemühungen Belgrads, den Konflikt einzudämmen, zurück. Es will eine militärische Strafaktion.
Der engste Verbündete des Habsburger Reiches, Deutschland, teilt diese Haltung. Wilhelm II. schreibt an den Rand eines ihm vorgelegten Lageberichtes: »Jetzt oder nie!« Wie ernst auch immer diese und andere Äußerungen gemeint sind, Wien ist sich sicher, dass Deutschland im Kriegsfall mitmachen wird. Jetzt rächt sich die weit verflochtene europäische Bündnispolitik. Es setzt ein Automatismus ein, der innerhalb weniger Stunden zur Mobilmachung der Armeen in Russland, Frankreich, Österreich und Deutschland führt.
Nach dem Krieg werden die Sieger im Friedensvertrag von Versailles einen Passus formulieren, der allein den Verlierer Deutschland für den Kriegsausbruch verantwortlich macht. Dies ist zweifellos eine Überspitzung der Wirklichkeit, die den Tatsachen in der Sommerkrise von 1914 in dieser Einseitigkeit nicht entspricht. Sicher, die Akten zeigen, dass Deutschland nicht beruhigend, sondern eskalierend auf die innerösterreichischen Debatten um eine angemessene Reaktion auf das Attentat eingewirkt hat. Berlin signalisiert dem Bündnispartner im Juli nicht, dass es im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen auf dem Balkan seine Hilfe verweigern wird. Im Gegenteil, die deutsche Regierung sagt Wien auf Anfrage die bedingungslose Unterstützung auch für den Fall zu, dass Russland militärisch eingreift. Das ist der berühmte »Blankoscheck«, den Deutschland für Österreich ausstellt. Berlins Drängen auf einen raschen Militärschlag Österreichs werde, so glauben die deutschen Außenpolitiker, eine Ausweitung des Konflikts zum Weltkrieg verhindern. Je eher man Tatsachen in Serbien |188| schaffe, desto eher würden sich die Beziehungen zu den Entente-Staaten Frankreich, Großbritannien und Russland wieder normalisieren. Dieser folgenschwere Irrtum bestimmt das politische Handeln im Kaiserreich. Reichskanzler Theobald Bethmann Hollweg, seit 1909 im Amt, erklärt: »Ein schneller fait accommpli und dann freundlich gegen die Entente, dann kann der Choc ausgehalten
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