Die Geschichte der Deutschen
Ostpreußen veranlasst Kaiser Wilhelm II. jedoch, Hindenburg aus dem Ruhestand zurück in den aktiven Dienst zu holen. Die Siege in Tannenberg und an den Masurischen Seen machen ihn zum populärsten Heeresführer des Krieges. Vom »Mythos Tannenberg« ist die Rede, Hindenburg wird zum Helden mit der Aura der Unfehlbarkeit. Dabei ist sein Generalquartiermeister, Erich Ludendorff, intelligenter und zweifellos der bessere Stratege von beiden. Er ist es auch, der nach 1916 die politischen Versuche des Reichstags unterbindet, einen »Verständigungsfrieden« diplomatisch vorzubereiten. Hindenburg und Ludendorff fordern den totalen Krieg. Alle Kräfte des Volkes in der Heimat und an den Fronten |195| sollen für den Sieg eingesetzt werden. Doch als auch die letzte Offensive im Sommer 1918 scheitert, schwenken die beiden Durchhaltestrategen um. In völliger Umkehr ihrer bisherigen Haltung fordern sie plötzlich den sofortigen Waffenstillstand, da die deutsche Front sonst innerhalb weniger Tage zusammenbrechen werde. Sie verlangen die Einsetzung einer parlamentarisch gestützten Regierung. So vermeiden sie, die Verhandlungen mit den alliierten Siegern selbst führen zu müssen. Wohl wissend, dass ihre Parolen vom Durchhalten bis zum glorreichen Sieg von der Realität des Schlachtfelds eingeholt worden sind, ziehen sie im Hintergrund die Fäden – ohne selbst das Gesicht zu verlieren. Und bald schon werden sie behaupten, das deutsche Heer sei im Feld unbesiegt geblieben. Die Niederlage sei von den »Verrätern« an der Heimatfront verschuldet worden. Diese hätten dem Heer, so erklärt Hindenburg wahrheitswidrig nach dem Krieg einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den Dolch in den Rücken gestoßen.
1925 wird Hindenburg abermals zum Totengräber seines Vaterlandes. Obwohl der preußische General im Ruhestand nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er lieber einem Kaiser als einer Demokratie dienen würde, wählt ihn die Mehrheit zum Präsidenten. Von Anbeginn an ist es sein Ziel, die Sozialdemokraten von der Regierungsverantwortung fernzuhalten. So stützt er die konservativen, republikfeindlichen Kräfte, die sich um die Reichswehr und den ostpreußischen Großgrundbesitz formiert haben. Am Ende ernennt er Hitler, wenn auch zunächst widerstrebend, zum Reichskanzler. Als Hindenburg 1937 stirbt, ist Deutschland bereits wieder eine Diktatur.
Hindenburg ist ein besonders eklatantes Beispiel dafür, wie skeptisch wir heute gegenüber den Rufen nach einer Wiederbelebung der angeblich so preisenswerten preußischen Tugenden und Werte sein sollten. Dieser Ehrenmann hat nicht nur einen sinnlosen Krieg um Jahre verlängert und damit den Tod von Hunderttausenden jungen Männern zu verantworten. Er hat auch die Öffentlichkeit schäbig belogen und war zu feige, seinen Teil der Verantwortung für die Kriegsniederlage zu übernehmen. Als Reichspräsident hat er einen Eid auf die Verfassung geschworen, diesen aber durch sein staatsstreichähnliches Verhalten gebrochen, mit dem er die Nationalversammlung in der Schlussphase der Weimarer Republik entmachtete. Hindenburg, diese preußische Legende, war sich schließlich nicht einmal zu schade, Bestechungsgeschenke zu akzeptieren. Die konservativen ostelbischen Adligen schenkten ihm in Pommern ein Gut, das sie formal gleich dem sehr einflussreichen Sohn zueigneten, damit dieser später die Erbschaftssteuer sparen konnte. Natürlich setzte sich der Reichspräsident im |196| Gegenzug energisch für eine Erhöhung der Osthilfe ein, die den großzügigen Freunden zugute kamen. Preußen war kein Vorbild, sondern bot gelegentlich das Bild einer Bananenrepublik.
Im Februar 1917 scheint sich für Deutschland noch einmal eine Wende zum Guten abzuzeichnen. Die Hilfe kommt von unverhoffter Seite. In Petersburg wird das Zarenregime gestürzt. Kriegsmüdigkeit, Hungerrevolten und Streiks lähmen das politische System. Im März dankt der Zar ab und eine bürgerliche Regierung übernimmt die Macht. Die deutsche Militärführung lässt den in Zürich lebenden Sozialrevolutionär Wladimir I. Uljanow, der bald unter dem Namen Lenin zu einer welthistorischen Figur wird, mit der Eisenbahn quer durch Deutschland nach Russland reisen. Ludendorff hofft mit diesem Schritt die Lage im Land weiter zu destabilisieren. Tatsächlich stürmen im November die Kommunisten – in Russland heißen sie Bolschewiki (»Mehrheitler«) – in Petersburg das Winterpalais, setzen die bürgerliche Regierung ab und
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