Die Geschichte der Deutschen
portugiesischen Juden. Da im 15. Jahrhundert generell neue Handels- und Kreditsysteme das christliche Zinsverbot zu unterlaufen beginnen, sind in vielen Städten West- und Mitteleuropas die Juden als Kreditgeber für ihre christlichen Nachbarn entbehrlich geworden. Der Judenhass bricht wieder offen und gewalttätig aus. Im Laufe der Zeit werden auch in Deutschland fast alle Judengemeinden vernichtet und ihre Mitglieder vertrieben |63| . Sie wandern in die osteuropäischen Staaten aus. Mehr geduldet als willkommen geheißen, auch hier häufig verfolgt, leben sie in großer Armut und Abgeschlossenheit. Millionen ihrer Nachkommen fallen 500 Jahre später dem Holocaust zum Opfer. In Polen und Russland, den Zentren des Ostjudentums, bauen die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg ihre Vernichtungslager, in denen sie den Massenmord am europäischen Judentum durchführen. Bis zu dieser Zeit, also bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, sprechen die Ostjuden Jiddisch. Eine Sprache, die ihre Vorfahren schon vor der Zeit ihrer Vertreibung aus Deutschland benutzt haben und deren Wortschatz aus dem Spätmittelhochdeutschen stammt.
Furcht und Elend sowie die irrationale Suche nach dem Sündenbock: Das ist geblieben aus diesen spätmittelalterlichen Jahrhunderten. Dagegen stehen auf der anderen, positiven, Seite die bedeutenden Kunstwerke der Gotik und der Frührenaissance. Für Deutschland sind die Münster und Dome in Straßburg, Köln oder Ulm Zeugnisse hoher Baukunst. Wundervolle Altarbilder und Kirchenkanzeln, in ihrer Ausführung unvergleichliche Stein- und Holzfiguren entstehen bei der Ausschmückung der Kirchen. Von Lübeck über Goslar bis Regensburg und Schwäbisch Hall finden wir glanzvolle Beispiele von Rathausbauten, die uns vom Selbstbewusstsein des frühen Stadtbürgertums erzählen. Am Ende jener chaotischen Jahre leben so bedeutende Künstler wie Tilman Riemenschneider und Hans Holbein. Die Druckgraphik erlebt im 15. Jahrhundert ihren ersten Höhepunkt. Die Holzschnitte und Buchillustrationen der Renaissance-Künstler sind bis heute weltberühmt. Das Papier findet als billiger Schreibstoff eine große Verbreitung. Und die Erfindung eines Mainzer Goldschmieds löst eine technische Revolution aus, die langfristig nicht nur die politische Welt, sondern das gesamte geistige Leben Europas verwandeln wird.
Johannes Gutenberg (etwa 1394–1468)
In Mainz druckt zwischen 1448 und 1455 ein Goldschmied namens Johannes Gutenberg die erste Bibel mit beweglichen Lettern. Dies ist nicht mehr und nicht weniger als die Erfindung des Buchdrucks. Gutenberg ist damit der umwälzende Durchbruch vom mühsam handgeschriebenen zum rasch zu vervielfältigenden Textprodukt gelungen. Das gedruckte Buch wird das Abendland verändern. Bald können die Verleger und Drucker Flugblätter, Zeitungen, Verträge oder amtliche Verlautbarungen in beliebig hohen Auflagen herstellen. Die frühe |64| Neuzeit, die kurz nach Gutenbergs Tod einsetzt, verdankt dem Buchdruck den entscheidenden geistig-politischen Schub, der die abendländischen Gesellschaften von der Unwissenheit befreien kann.
Das gilt nicht nur für die Gebildeten. Die Bauern erfahren nun in Flugblättern oder politischen Pamphleten von den Ungerechtigkeiten, die ihr Leben begleiten – auch wenn sie meist Analphabeten sind und sich die kursierenden Schriftstücke vorlesen lassen müssen. Von den fernen Handelsplätzen erreichen die Kaufleute genauer und schneller die neuen Börsenkurse und Warenpreise. Die Mediziner, Chemiker, Physiker und Astronomen veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse, und auf ihren Erkenntnissen aufbauend gelingt es ihren Kollegen in anderen Ländern und Universitäten zu neuen wissenschaftlichen Ufern vorzustoßen. Politische und philosophische Denker machen ihre Weltsysteme einer immer breiteren Öffentlichkeit bekannt. So ist beispielsweise die Veröffentlichung der Werke des Humanisten, Philologen und Kirchenkritikers Erasmus von Rotterdam im frühen 16. Jahrhundert erstmals ein gesamteuropäisches Ereignis. Seine Thesen werden von den gebildeten Schichten Frankreichs, Englands oder Italiens nicht weniger leidenschaftlich diskutiert als von den Deutschen. Kaum eine Kanzlei in Europa, an der nicht Schüler dieses außergewöhnlichen Geistes arbeiten.
Die fürstlichen Verwaltungen und städtischen Behörden können mit ihren nun vielfach gedruckten Verordnungen und Gesetzestexten die Untertanen der Landesherren schnell und umfänglich erreichen. Luthers
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