Die Geschichte der Deutschen
Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter. Mit aller Vorsicht kann man sagen, dass sich zwischen dem Ende des 11. und der Mitte des 14. Jahrhunderts die Zahl der Menschen in Deutschland von 5 auf 15 Millionen erhöht hat. Die steigende Bevölkerungszahl erweitert nicht nur die Besiedlung, sondern sie verdichtet sie auch.
Eine besondere Rolle beim Landausbau spielt die Kolonisierung des Ostens durch deutsche Einwanderer. Sie beginnt schon unter Karl dem Großen und setzt sich unter den Ottonen, Saliern und Staufern verstärkt fort. Den kriegerischen Eroberungen folgen in der Regel bäuerliche Siedler, die sich später auch in Schlesien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Polen oder Siebenbürgen niederlassen. Städte- und Klostergründungen verstärken diesen Landausbau im Osten. Es geht dabei nicht immer gewalttätig, sondern auch friedlich zu. So wollen die östlichen Landesherren ihre häufig nur dünn besiedelten Territorien wirtschaftlich stärken und laden deswegen die Deutschen ein, bei ihnen ansässig zu werden. In einigen dieser Regionen, in denen die Nachkommen der deutschen Frühsiedler leben, erhalten sich über die Jahrhunderte Sprache, Feiertagstrachten oder einige Volkssitten der Vorfahren. Das ist beispielsweise in Siebenbürgen so, bei den Banater Schwaben oder teilweise auch bei den Wolgadeutschen in Russland.
Der immer heftiger ausbrechende deutsche Nationalismus des 19. Jahrhunderts verklärt diese nüchterne historische Begebenheit aus den Zeiten des Mittelalters bald zur Propagierung einer chauvinistischen »Ostmarkpolitik«. Im Ersten Weltkrieg fordern die deutschen Eliten bei der Formulierung ihrer Kriegsziele auch die Rückkehr dieser angeblich alten deutschen Territorien ins Reich. Kurz darauf instrumentalisieren die Nationalsozialisten die Jahrhunderte zurückliegende |67| Ostkolonisation ebenfalls, um damit ihre Expansions- und Germanisierungsideologie zu begründen. Missbrauch der Geschichte! Preußens König Friedrich der Große holt im 18. Jahrhundert die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten ins unkultivierte und wirtschaftlich darbende Ostpreußen. Hat Frankreich deshalb Jahrhunderte später das Recht, dieses Land für sich zu reklamieren? Mit dem großen Landausbau im 11. und 12. Jahrhundert haben all diese nationalistischen Diskussionen der Moderne jedenfalls nichts zu tun.
An den großen Strömen Mittel- und Westeuropas, am Rhein und seinen Nebenflüssen, an der Donau, der Themse oder an der Seine entstehen in die Zukunft weisende Stadtlandschaften. Die Flüsse sind im Mittelalter die wichtigsten Handelsstraßen, da der Wassertransport erheblich billiger (und ungefährlicher) als der Landtransport ist. Der Rhein mit den dort gelegenen großen Handels und Messeplätzen ist zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert die Hauptschlagader Deutschlands. Köln oder Mainz behalten das gesamte Mittelalter hindurch ihre herausragende Bedeutung. Worms und Speyer treten hinzu. Am Main bleibt Frankfurt wichtigster Handelsplatz. An der Donau wachsen Regensburg und Wien, an der Lech die spätere Stadt der Fugger, Augsburg.
Nicht anders sieht es an den Küsten aus, wo Hafenstädte wie Amsterdam, Venedig oder Hamburg im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters zu reichen und einflussreichen Handelsorten werden. Zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert gewinnt die Hanse als Zusammenschluss der Kaufmannschaften mehrerer bedeutender europäischer Hafenstädte eine nicht nur wirtschaftlich, sondern auch machtpolitisch herausragende Position. Führend sind die Städte an den Küsten der Nord- und Ostsee. Lübeck, Hamburg, Bremen, Kiel, Stralsund, Rostock, Wismar, Reval, Riga, Nowgorod, London, Brügge oder Bergen werden zu Umschlagplätzen eines sich rasch über die Meere ausweitenden Fernhandels. In ihrer hohen Zeit reichen die Privilegien der Hanse bis weit in das Innere Deutschlands hinein und umfassen auch dort zahlreiche Orte, wie etwa Köln oder Magdeburg.
Neben den schon genannten Hafenstädten oder Siedlungen an den Flussufern zählen bald auch Nürnberg, Münster, Osnabrück oder später der Messeplatz Leipzig zu den bedeutenden Handelsmetropolen. In ihnen bilden sich Bürgergesellschaften heraus, deren Lebensart und Moralvorstellungen prägend für die kommenden europäischen Gesellschaften werden. Wie in Venedig, Florenz, Brüssel oder Lissabon beginnen auch in den deutschen Städten immer steilere, eng aneinandergebaute Steinhäuser das Stadtbild zu formen. Die alten Burgwälle und -zinnen, um die sich
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