Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
blühend und kräftig geworden, und Turambar hielt sich nicht länger zurück und bat sie, seine Frau zu werden. Níniel war froh darüber, als aber Brandir davon erfuhr, wurde das Herz ihm schwer, und er sagte zu ihr: »Überstürze nichts! Halte mich nicht für missgünstig, wenn ich dir rate, zu warten.«
»Nichts, was du tust, geschieht aus böser Absicht«, erwiderte sie. »Aber warum gibst du mir einen solchen Rat, kluger Bruder?«
»Kluger Bruder?«, fragte er. »Eher lahmer Bruder, ungeliebt und nicht liebenswert. Und ich weiß selbst nicht recht, warum. Aber auf diesem Mann liegt ein Schatten, und es erfüllt mich mit Furcht.«
»Es hat einen Schatten gegeben«, sagte Níniel. »Er hat mir davon erzählt. Aber er ist ihm entronnen, genau wie ich. Und ist er der Liebe nicht wert? Wenn er jetzt auch Frieden hält, war er nicht einst der größte Hauptmann, vor dem all unsere Feinde flohen, wenn sie ihn sahen?«
»Wer hat dir das erzählt?«, fragte Brandir.
»Dorlas«, erwiderte sie. »Hat er nicht die Wahrheit gesagt?«
»Es ist wahr, in der Tat«, sagte Brandir, doch er war verstimmt; denn Dorlas war der Sprecher von jenen, die Krieg mit den Orks wollten. Dennoch suchte er weiter nach Gründen, um Níniel zum Aufschub zu bewegen, und daher sagte er: »Es ist die Wahrheit, freilich nicht die ganze; denn er war der Hauptmann von Nargothrond und vorher aus dem Norden gekommen, und er war (wie man sagt) der Sohn Húrins aus Dor-lómin, aus dem kriegerischen Hause Hador.« Brandir, der den Schatten sah, der sich bei diesem Namen auf ihr Gesicht legte, deutete dies falsch und sprach weiter: »Bedenke, Níniel, dass sich ein solcher Mann wahrscheinlich bald wieder dem Kriegshandwerk widmen muss, vielleicht fern von diesem Land. Und wenn dies so kommt, wie willst du es ertragen? Sei auf der Hut, denn ich sehe voraus, wenn Turambar wieder in die Schlacht zieht, wird der Schatten die Oberhand über ihn gewinnen.«
»Schwer würde ich es ertragen«, entgegnete sie, »doch unvermählt nicht besser als vermählt. Und als seine Frau könnte ich ihn vielleicht davon abhalten und die Schatten vertreiben.« Trotzdem war sie über Brandirs Worte besorgt, und sie bat Turambar, noch eine Zeitlang zu warten. Und er wunderte sich darüber und war niedergedrückt; doch als er von ihr erfuhr, dass Brandir ihr dazu geraten hatte, nahm er dies übel auf.
Als der nächste Frühling kam, sagte er zu Níniel: »Die Zeit vergeht. Wir haben gewartet, und länger will ich nun nicht warten. Tu, was dein Herz dir rät, Níniel, Liebste, aber bedenke dabei: Vor mir liegt die Entscheidung, entweder zum Krieg in die Wälder zu gehen oder dich zu heiraten und niemals mehr in den Kampf zu ziehen – es sei denn, um dich zu verteidigen, wenn irgendein Bösewicht unser Haus angreift.«
Da war Níniel froh, und sie gelobte ihm Treue, und am Tag der Sommersonnenwende wurden sie miteinander vermählt. Die Waldmenschen veranstalteten ein großes Fest und schenkten ihnen ein schönes Haus, das sie für die beiden auf dem Amon Obel gebaut hatten. Dort wohnten sie und waren glücklich. Brandir aber war bekümmert, und der Schatten, der auf seinem Herzen lag, wuchs.
KAPITEL 16
DIE ANKUNFT GLAURUNGS
U nterdessen nahmen die Kraft und die Bosheit Glaurungs immer mehr zu, und er wurde fett und sammelte Orks um sich und herrschte als ein Drachenkönig. Alles, was zum Reich von Nargothrond gehört hatte, unterwarf er seiner Gewalt. Und bevor das dritte Jahr von Turambars Aufenthalt bei den Waldmenschen zu Ende ging, begann Glaurung deren Land, das eine Zeitlang Frieden gehabt hatte, mit Krieg zu überziehen. Denn es war Glaurung und seinem Meister sehr wohl bekannt, dass in Brethil noch ein letzter Rest freier Menschen wohnte, die übrig gebliebenen Angehörigen der Drei Häuser, die der Macht des Nordens trotzten. Und dies wollten sie nicht hinnehmen; denn es warMorgoths Ziel, ganz Beleriand zu unterjochen und jeden Winkel des Landes zu durchkämmen, auf dass in keinem Loch oder Versteck noch ein Einziger lebe, der nicht sein Sklave sei. Deshalb ist es kaum von Bedeutung, ob Glaurung erriet, wo Turambar sich versteckt hielt, oder ob dieser wirklich (wie manche glaubten) zu jener Zeit aus dem Gesichtskreis des Bösen, das ihn verfolgte, entronnen war. Denn am Ende musste sich Brandirs Vorsicht als vergeblich erweisen, und für Turambar selbst konnte es schließlich nur zwei Möglichkeiten geben: tatenlos dazusitzen, bis man ihn fand und wie eine
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