Die Geschichte der Liebe (German Edition)
ersten Mal. Als sie dreizehn waren, bekamen sie Streit und redeten drei Wochen nicht miteinander. Als sie fünfzehn waren, zeigte sie ihm die Narbe auf ihrer linken Brust. Ihre Liebe war ein Geheimnis, das sie niemandem erzählten. Er versprach ihr, solange er lebte, würde er nie ein anderes Mädchen lieben. Was, wenn ich sterbe?, fragte sie. Auch dann , sagte er. Zu ihrem sechzehnten Geburtstag schenkte er ihr ein englisches Wörterbuch, und sie lernten zusammen die Wörter. Was ist das?, fragte er, während er mit dem Zeigefinger um ihren Knöchel fuhr, und sie schlug es nach. Und das?, fragte er, indem er ihren Ellbogen küsste. Elbow! Was ist denn das für ein Wort?, und dann leckte er ihn ab und brachte sie zum Kichern. Was ist damit?, fragte er und berührte die weiche Haut hinter ihrem Ohr. Ich weiß nicht, sagte sie, machte die Taschenlampe aus und rollte sich mit einem Seufzer auf den Rücken. Als sie siebzehn waren, liebten sie sich zum ersten Mal, auf einem Bett aus Stroh in einem Stall. Später – als Dinge geschahen, die sie sich niemals hätten vorstellen können – schrieb sie ihm einen Brief, in dem stand: Wann wirst du begreifen, dass es nicht für alles Wörter gibt?
Es war einmal ein Junge, der liebte ein Mädchen, dessen Vater schlau genug war, alle Zloty, die er besaß, zusammenzukratzen und seine jüngste Tochter nach Amerika zu schicken. Zuerst wollte sie nicht gehen, aber auch der Junge wusste genug, um darauf zu drängen, und schwor ihr bei seinem Leben, er würde Geld verdienen und einen Weg finden, ihr zu folgen. Also ging sie. Er bekam Arbeit in der nächsten Stadt, als Hausmeister in einem Krankenhaus. Nachts blieb er auf und schrieb an seinem Buch. Er schickte ihr einen Brief, in den er in winziger Handschrift elf Kapitel seines Buches übertrug. Obwohl er sich nicht einmal sicher war, ob die Post ankommen würde. Er sparte so viel Geld wie möglich. Eines Tages wurde er entlassen. Niemand sagte ihm, warum. Er kehrte nach Hause zurück. Im Sommer 1941 stießen die Einsatzgruppen tiefer nach Osten vor und töteten Hunderttausende von Juden. An einem strahlend heißen Julitag zogen sie in Slonim ein. Zu dieser Stunde lag der Junge auf dem Rücken im Wald und dachte an das Mädchen. Man könnte sagen, es war seine Liebe zu ihr, die ihn gerettet hat. In den folgenden Jahren wurde der Junge ein Mann, der sich unsichtbar machte. So entrann er dem Tod.
Es war einmal ein Mann, der, unsichtbar geworden, in Amerika ankam. Er hatte sich dreieinhalb Jahre lang versteckt, meist auf Bäumen, aber auch in Spalten, Kellern, Löchern. Dann war es vorbei. Die russischen Panzer rollten ein. Sechs Monate lebte er in einem Vertriebenenlager. Er bekam Verbindung zu seinem Cousin, der in Amerika Schlosser war. Im Kopf übte er wieder und wieder die wenigen Wörter, die er auf Englisch wusste. Knee. Elbow. Ear. Schließlich kamen seine Papiere. Er nahm einen Zug zu einem Schiff, und eine Woche später landete er im Hafen von New York. Es war ein kühler Novembertag. Zusammengefaltet in seiner Hand die Adresse des Mädchens. In dieser Nacht lag er wach auf dem Boden im Zimmer seines Cousins. Die Heizung zischte und klopfte, doch er war dankbar für die Wärme. Morgens erklärte ihm der Cousin dreimal, wie er mit der Subway nach Brooklyn kam. Er kaufte einen Strauß Rosen, aber sie ließen die Köpfe hängen, weil er sich verirrte, obwohl ihm sein Cousin den Weg dreimal erklärt hatte. Schließlich fand er den Ort. Erst als sein Finger die Klingel drückte, kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht hätte anrufen sollen. Sie öffnete die Tür. Sie trug ein blaues Kopftuch über dem Haar. Durch die Wand der Nachbarn konnte er die Rundfunkübertragung eines Ballspiels hören.
Es war einmal vor langer Zeit, da stieg die Frau, die damals noch ein Mädchen war, auf ein Schiff nach Amerika und erbrach während der ganzen Fahrt, nicht, weil sie seekrank, sondern weil sie schwanger war. Als sie das herausfand, schrieb sie dem Jungen. Jeden Tag wartete sie auf einen Brief von ihm, aber keiner kam. Sie wurde dicker und dicker. Sie versuchte es zu verbergen, damit sie ihre Arbeit in der Kleiderfabrik nicht verlor. Ein paar Wochen vor der Geburt des Babys erhielt sie Nachricht von jemandem, der gehört hatte, in Polen würden Juden umgebracht. Wo?, fragte sie, aber niemand wusste, wo. Sie ging nicht mehr zur Arbeit. Sie konnte sich nicht überwinden aufzustehen. Nach einer Woche kam der Sohn ihres Chefs sie besuchen. Er
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