Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
möblierte Wohnung mieten, um dort die Nacht zu verbringen, wann immer wir zu spät von den Zusammenkünften aufbrächen, zu denen wir uns mehrmals in der Woche einfanden; denn die Unannehmlichkeit, so spät nach Chaillot zurückzukehren, war der Grund gewesen, den sie vorschob, um von dort fortzugehen.
Und so hatten wir zwei Wohnsitze, einen in der Stadt und den anderen auf dem Land. Diese Veränderung brachte alsbald das größte Unheil in unsere Verhältnisse, zog sie doch zwei Abenteuer nach sich, die unser Verderben bedeuteten.
Manon hatte einen Bruder, der in der Leibgarde 12 diente. Zu unserem Unglück wohnte er in Paris in derselben Straße wie wir. Er erkannte seine Schwester, als er sie eines Morgens an ihrem Fenster sah. Sogleich kam er zu uns geeilt. Er war ein brutaler Mensch ohne jegliche Ehrenprinzipien. Unter grässlichen Verwünschungen betrat er unser Wohnzimmer, und da er einiges über die Abenteuer seiner Schwester wusste, überhäufte er sie mit Beschimpfungen und Vorwürfen.
Ich war kurz zuvor ausgegangen, zweifellos ein Glücksfall für ihn oder für mich, der ich nicht im Geringsten bereit war, eine Beleidigung hinzunehmen. Ich kehrte erst nach Hause zurück, als er schon fort war. Aus Manons Traurigkeit schloss ich, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen war. Sie berichtete mir von der unerfreulichen Szene, die sie gerade erlebt hatte, und von den brutalen Drohungen ihres Bruders. Ich geriet so sehr in Zorn, dass ich auf der Stelle davongeeilt wäre, um sie zu rächen, hätte sie mich nicht durch ihre Tränen zurückgehalten.
Während ich noch mit ihr über diesen Zwischenfall sprach, betrat der Leibgardist das Zimmer, in dem wir uns befanden, ohne gemeldet zu sein. Ich hätte ihn nicht so höflich empfangen, wie ich es tat, wenn ich gewusst hätte, wer er war; doch indem er uns mit lachender Miene begrüßte, fand er Zeit genug, Manon zu sagen, er sei gekommen, um sich für seine Ausfälligkeit zu entschuldigen; er habe geglaubt, sie führe ein unmoralisches Leben, und diese Meinung habe seinen Zorn entfacht; doch als er sich bei einem unserer Bediensteten erkundigt habe, wer ich sei, habe er über mich derart vorteilhafte Dinge erfahren, dass in ihm der Wunsch erwacht sei, mit uns zu leben. Wenn auch diese Äußerung, zu der er von einem meiner Lakaien veranlasst worden war, etwas Sonderbares und Unerhörtes hatte, nahm ich sein Kompliment höflich entgegen. Ich glaubte, Manon damit einen Gefallen zu tun. Sie schien mit Freude zu sehen, dass er versöhnlich gestimmt war. Wir luden ihn zum Nachtmahl ein. In kürzester Zeit glaubte er sich so nahe, dass er, als er von unserer Rückkehr nach Chaillot hörte, uns unbedingt Gesellschaft leisten wollte. Wir mussten ihm einen Platz in unserer Kutsche einräumen.
Es war eine Inbesitznahme, denn bald empfand er so viel Freude an den regelmäßigen Besuchen, dass er unser Haus zu dem seinigen machte und sich gewissermaßen zum Herrn über alles aufwarf, was uns gehörte. Er nannte mich seinen Bruder, und im Namen brüderlicher Freiheit maßte er sich an, alle seine Freunde in unser Haus in Chaillot zu bringen und sie dort auf unsere Rechnung zu bewirten. Er kleidete sich auf unsere Kosten prachtvoll ein. Er veranlasste uns sogar, seine gesamten Schulden zu bezahlen. Ich verschloss die Augen angesichts dieser Tyrannei, um nicht Manons Unwillen zu erregen, und gab sogar vor, nicht zu bemerken, dass er sie von Zeit zu Zeit um beträchtliche Geldsummen anging. Es stimmt zwar, dass er, obschon ein ausgemachter Spieler, zuverlässig genug war, ihr einen Teil davon zurückzugeben, wenn das Glück ihm hold war; allein unsere Mittel waren zu beschränkt, als dass wir für derart unmäßige Ausgaben lange hätten aufkommen können. Ich war im Begriff, mit ihm eine heftige Auseinandersetzung zu führen, damit er uns nicht mehr zur Last fiele, als mir ein verhängnisvolles Unglück diese Misslichkeit ersparte, indem es uns eine andere bereitete, die uns ruinierte und mittellos zurückließ.
Wir waren eines Tages in Paris geblieben, um dort zu übernachten, wie es recht oft vorkam. Die Dienerin, die bei solchen Gelegenheiten allein in Chaillot blieb, kam am nächsten Morgen und benachrichtigte mich, dass während der Nacht in meinem Haus Feuer ausgebrochen sei und dass man es nur unter vielerlei Schwierigkeiten habe löschen können. Ich fragte, ob unsere Möbel Schaden gelitten hätten; sie antwortete, es habe wegen der vielen Fremden, die zu Hilfe
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