Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
ich um Sie gelitten habe, schöne Manon, sagen Sie mir, ob Sie treuer sein werden.»
Sie fand so bewegende Worte über ihre Reue und versicherte mich mit derart eindringlichen Beteuerungen und Schwüren ihrer Treue, dass ich unsagbar milde gestimmt wurde. «Teure Manon!», sagte ich zu ihr in einer profanen Vermengung von Wendungen der Liebe und der Theologie, «du bist gar zu anbetungswürdig für ein irdisches Geschöpf. Ich spüre, wie mein Herz von einer gewaltigen Freude mitgerissen wird. Alles, was man in Saint-Sulpice über die Freiheit sagt, ist ein Hirngespinst. Ich werde mein Vermögen und meinen Ruf um deinetwillen verlieren, das sehe ich wohl; ich lese mein Geschick in deinen schönen Augen; doch über welche Verluste werde ich nicht hinweggetröstet durch deine Liebe! Die Gunst des Erfolgs schert mich wenig; der Ruhm scheint mir Schall und Rauch; all meine Pläne für ein Leben als Geistlicher sind irrwitzige Hirngespinste gewesen; ja, alles Gute, das von dem abweicht, was ich mir mit dir erhoffe, ist verachtenswert, denn es vermag in meinem Herzen keinen Augenblick lang auch nur einen einzigen deiner Blicke aufzuwiegen.»
Ich versprach, dass ihre Verfehlungen samt und sonders vergessen sein sollten, wollte aber gleichwohl in Erfahrung bringen, auf welche Weise sie sich von B… hatte verführen lassen.
Sie schilderte, er sei in Leidenschaft für sie entbrannt, als er sie von seinem Fenster aus gesehen habe; er habe sich ihr in der Manier eines Generalsteuerpächters erklärt, also indem er ihr in einem Brief bedeutet habe, dass die Vergütung im Verhältnis zur gewährten Gunst stehen werde; sie habe zunächst kapituliert, doch ohne eine andere Absicht, als ihm eine beträchtliche Summe Geld abzunehmen, die uns ein angenehmes Leben ermöglichen würde. Er habe sie mit derart großartigen Versprechungen geblendet, dass sie sich allmählich habe erweichen lassen; ich möge gleichwohl ihre Gewissensbisse an dem Schmerz ermessen, dessen Anzeichen sie mich am Vorabend unserer Trennung habe sehen lassen. Trotz der Opulenz, mit der er sie ausgehalten habe, sei sie mit ihm niemals glücklich gewesen, denn nicht nur habe sie bei ihm, so sagte sie, nicht die Zartheit meiner Empfindungen und das Gefällige meiner Umgangsformen gefunden, sondern es sei auch inmitten all der Lustbarkeiten, die er ihr ohne Unterlass geboten habe, tief in ihrem Herzen die Erinnerung an meine Liebe und die Reue über ihre Treulosigkeit geblieben.
Sie sprach über Tiberge und über die äußerste Verwirrung, in die sein Besuch sie gestürzt habe. «Ein Schwertstich ins Herz», so setzte sie hinzu, «hätte mir das Blut weniger wallen lassen. Ich kehrte ihm den Rücken zu, denn ich konnte seine Gegenwart keinen Augenblick länger ertragen.»
Weiter erzählte sie mir, wie sie von meiner Anwesenheit in Paris, von der Änderung meiner Lebensumstände und von meinem Studium an der Sorbonne erfahren habe. Sie beteuerte, sie sei während der Disputation so aufgeregt gewesen, dass sie größte Mühe gehabt habe, nicht nur ihre Tränen, sondern gar ein Stöhnen und Schreien zu unterdrücken, das mehr als einmal aus ihr herauszubrechen drohte. Schließlich, sagte sie, habe sie als Letzte den Saal verlassen, um ihre Verwirrung zu verbergen, und sie sei, allein der Erregung ihres Herzens und dem Ungestüm ihres Begehrens folgend, direkt zum Seminar gekommen mit dem Entschluss, dort zu sterben, wenn sie mich nicht bereit fände, ihr zu verzeihen.
Wo wäre ein Barbar zu finden, den eine solch lebhafte und innige Reue nicht gerührt hätte? Was mich angeht, so fühlte ich in jenem Augenblick, dass ich alle Bistümer der christlichen Welt für Manon geopfert hätte.
Ich fragte sie, wie sich unser Verhältnis ihrer Ansicht nach zukünftig gestalten solle. Sie sagte, wir sollten das Seminar auf der Stelle verlassen und uns die Planungen für einen sichereren Ort aufheben.
Ich ging widerspruchslos auf all ihre Wünsche ein. Sie nahm ihre Kutsche und wartete an der Straßenecke auf mich. Ich stahl mich kurze Zeit später davon, ohne vom Pförtner bemerkt zu werden. Ich stieg zu ihr in den Wagen. Wir machten beim Althändler halt, um mich wieder mit Tressen und Säbel zu versehen. Manon übernahm die Kosten, denn ich besaß nicht einen Sou, hatte sie doch aus Furcht, dass ich bei meinem Aufbruch aus Saint-Sulpice noch auf ein Hindernis stoßen könnte, nicht zulassen wollen, dass ich rasch auf mein Zimmer zurückging, um dort mein Geld zu holen.
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