Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Befürchtungen, der Verzweiflung, in der ich mich zwei Stunden vor unserem Treffen befand, und jener, in die ich stürzen würde, sollten meine Freunde mich ebenso erbarmungslos verlassen wie das Glück; schließlich rührte ich den guten Tiberge so sehr, dass ich ihn vom Mitgefühl ebenso mitgenommen sah wie ich es von der Empfindung meines Schmerzes war. Unablässig umarmte er mich und sprach mir Mut und Trost zu, doch da er immer noch meinte, ich müsse mich von Manon trennen, gab ich ihm unverblümt zu verstehen, dass es eben diese Trennung sei, die ich für das größte Unglück hielte, und dass ich bereit sei, nicht nur das Alleräußerste an Elend auf mich zu nehmen, sondern sogar den grausamsten Tod, ehe ich mich denn auf eine Lösung einließe, die unerträglicher sei als all mein Unheil zusammengenommen.
«Dann erklären Sie mir doch», sagte er, «in welcher Weise ich Ihnen helfen kann, da Sie sich doch all meinen Vorschlägen widersetzen.»
Ich wagte nicht, ihm zu erklären, dass es sein Geld war, was ich brauchte. Doch schließlich kam er von selbst darauf, und nachdem er erklärt hatte, er glaube mich verstanden zu haben, zögerte er eine Zeit lang und wirkte wie jemand, der noch unschlüssig ist. «Sie dürfen nicht glauben», fuhr er alsbald fort, «dass meine Nachdenklichkeit von einer Abkühlung meiner Ergebenheit und Freundschaft herrührt. Doch vor welche Alternative stellen Sie mich, wenn ich Ihnen die einzige Hilfe, die Sie annehmen wollen, verwehren muss, würde ich doch meiner Pflicht zuwiderhandeln, wenn ich sie Ihnen gewährte? Denn hieße es nicht, Ihre Verfehlungen zu unterstützen, wenn ich Sie darin fortfahren ließe? Indes», sagte er nach kurzem Nachdenken, «stelle ich mir vor, dass die plötzliche Bedürftigkeit Sie vielleicht in eine Zwangslage gebracht hat, die Ihnen nicht genug Freiheit lässt, um eine bessere Wahl zu treffen; es bedarf eines gelassenen Geistes, will man sich der Weisheit und Wahrheit erfreuen. Ich werde einen Weg finden, Ihnen Geld zukommen zu lassen. Erlauben Sie mir, mein teurer Chevalier», setzte er hinzu und umarmte mich, «nur eine Bedingung daran zu knüpfen: Sie lassen mich wissen, wo Sie wohnen, und Sie dulden es, dass ich zumindest in meinen Bemühungen fortfahre, sie zur Tugend zurückzuführen, die Sie lieben, wie ich weiß, und von der Sie nur durch die Heftigkeit ihrer Leidenschaften abgebracht werden.»
Ich gestand ihm aufrichtig alles zu, was er wünschte, und bat ihn, die Böswilligkeit meines Geschicks zu beklagen, die mich die Ratschläge eines so tugendhaften Freundes so schlecht nutzen lasse.
Er brachte mich sogleich zu einem ihm bekannten Bankier, der mir auf Bürgschaft meines Freundes hundert Pistolen vorstreckte, denn über bares Geld verfügte Tiberge natürlich nicht. Und dass er nicht reich war, habe ich bereits gesagt. Sein Stipendium belief sich auf eintausend Ecu, doch da es ihm in diesem Jahr zum ersten Mal zustand, hatte er noch nichts davon erhalten: Es waren künftige Mittel, auf die er mir das Geld vorstreckte.
Ich empfand das ganze Ausmaß seiner Großzügigkeit. So ergriffen war ich davon, dass mir aufging, wie sehr mich diese verhängnisvolle Liebe verblendet hatte, die mich all meine Pflichten verletzen ließ. Für einige Augenblicke hatte die Tugend genügend Kraft, um in meinem Herzen gegen die Leidenschaft aufzustehen, und ich empfand in jenem Moment der Klarheit immerhin, wie schändlich und nichtswürdig meine Ketten waren.
Doch es war nur ein schwacher Kampf von kurzer Dauer. Der Anblick Manons hätte mich sogar aus dem Himmel herabstürzen lassen, und als ich mich wieder in ihrer Gegenwart befand, musste ich staunen, wie ich auch nur einen Augenblick lang eine Liebe für schändlich hatte halten können, die dem Zauber ihres Gegenstandes so angemessen war.
Manon war ein Geschöpf von außerordentlichem Charakter. Niemals war einem Mädchen weniger an Geld gelegen als ihr, und doch hatte sie keinen Moment Ruhe, sobald sie fürchtete, es könne daran mangeln. Was sie brauchte, waren Lustbarkeiten und Zeitvertreib. Sie hätte niemals auch nur einen Sou angerührt, wenn man sich hätte vergnügen können, ohne dass es etwas kostete. Sie erkundigte sich nicht einmal, wie es um unsere Mittel bestellt war, solange sie den Tag auf angenehme Weise verbringen konnte. Und da sie sich weder übermäßig dem Spiel hingab noch an protziger Geldverschwendung Gefallen fand, war nichts leichter, als sie zufriedenzustellen,
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