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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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gedachte; und Manon versprach uns, statt ihm zu folgen, das Haus zu verlassen und die Nacht mit mir zu verbringen. Lescaut übernahm die Aufgabe, pünktlich am Tor eine Kutsche bereitzuhalten.
    Die Stunde des Nachtmahls war gekommen, und Monsieur de G… M… ließ nicht lange auf sich warten. Lescaut befand sich mit seiner Schwester im Speisezimmer. Die erste Artigkeit des Alten bestand darin, seiner Schönen einen Halsschmuck, Armbänder und Ohrgehänge aus Perlen zu offerieren, die mindestens tausend Ecu wert waren. Anschließend zählte er ihr die Summe von zweitausendvierhundert Livre in blanken Louisdor auf den Tisch, also die Hälfte der jährlichen Zuwendung. Er versüßte seine Gaben mit allerlei gedrechselten Komplimenten, wie sie früher bei Hof üblich waren. Manon konnte ihm nicht jeden Kuss verwehren, erwarb sie sich doch so ein Recht auf das Geld, das er in ihre Hände legte. Ich wartete hinter der Tür und lauschte nur darauf, dass Lescaut mir das Zeichen gab einzutreten.
    Er kam und nahm mich bei der Hand, nachdem Manon das Geld und den Schmuck weggeschlossen hatte, und während er mich zu Monsieur de G… M… führte, forderte er mich auf, vor ihm einen Diener zu machen. Ich verbeugte mich zwei- oder dreimal besonders tief.
    «Sie müssen entschuldigen, Monsieur», sagte Lescaut, «er ist ein naiver Knabe. Wie Sie sehen, ist er noch lange nicht mit den Pariser Sitten vertraut; doch wir hoffen, dass ein wenig Übung seine Umgangsformen verbessern wird. Sie werden die Ehre haben, Monsieur häufig hier zu sehen», setzte er an mich gewandt hinzu, «machen Sie sich ein so gutes Vorbild nur zunutze.»
    Der verliebte Alte schien Vergnügen an meinem Anblick zu finden. Er gab mir zwei oder drei Klapse auf die Wange, wobei er sagte, ich sei ein hübscher Knabe, doch ich solle auf der Hut sein in Paris, wo die jungen Leute sich leicht einem ausschweifenden Leben ergäben. Lescaut versicherte ihm, dass ich von Natur aus ganz brav sei, dass ich von nichts anderem spräche als Priester zu werden und dass es meine ganze Seligkeit sei, Herrgottswinkel einzurichten. «Ich finde, er ähnelt Manon», ergriff der Alte wieder das Wort und hob mein Kinn mit der Hand.
    Ich gab mit einfältigem Gesicht zur Antwort: «Monsieur, wir sind doch so gut wie ein Fleisch; auch liebe ich meine Schwester Manon wie ein zweites Selbst.»
    «Hören Sie das?», sagte er zu Lescaut, «er hat Witz. Schade, dass das Kind nicht etwas weltgewandter ist.»
    «Oho, Monsieur», versetzte ich, «ich habe bei uns in den Kirchen allerhand gesehen, und ich glaube wohl, dass es in Paris Leute gibt, die törichter sind als ich.»
    «Sehen Sie», fuhr er fort, «das ist doch bewundernswert für ein Kind vom Land.»
    Unser ganzes Gespräch während des Nachtmahls verlief etwa in diesem Sinne. Manon, die zu Scherzen aufgelegt war, hätte mit ihren Heiterkeitsausbrüchen mehrere Male beinahe alles verdorben. Ich fand beim Essen Gelegenheit, ihm seine eigene Geschichte zum Besten zu geben, mitsamt dem bösen Los, das ihm drohte. Lescaut und Manon zitterten während meiner Erzählung, vor allem, da ich ihn lebensnah porträtierte; doch seine Eigenliebe hinderte ihn daran, sich selbst zu erkennen, und ich führte die Geschichte so geschickt zu Ende, dass er der Erste war, sie höchst amüsant zu finden. Sie werden später sehen, dass ich diese lächerliche Szene nicht ohne Grund so ausführlich dargestellt habe. Als schließlich die Schlafenszeit gekommen war, sprach er von Liebe und Ungeduld. Lescaut und ich zogen uns zurück; er wurde zu seinem Gemach geführt, und Manon, die unter dem Vorwand eines Bedürfnisses hinausgegangen war, stieß am Tor zu uns. Die Kutsche, die drei oder vier Häuser weiter auf uns wartete, fuhr vor, um uns aufzunehmen. Wir ließen das Stadtviertel rasch hinter uns.
    Wenngleich es sich bei dieser Unternehmung in meinen eigenen Augen um ein wahres Gaunerstück handelte, so war es doch nicht das Unredlichste, was ich mir vorzuwerfen hatte. Mehr Skrupel hatte ich des Geldes wegen, zu dem ich beim Spiel gekommen war. Gleichwohl brachte uns eines so wenig Nutzen wie das andere, und der Himmel ließ es zu, dass die geringste dieser beiden Unredlichkeiten am strengsten bestraft wurde.
    Monsieur de G… M… brauchte nicht lange, um zu bemerken, dass er hinters Licht geführt worden war. Ich weiß nicht, ob er noch am selben Abend irgendwelche Schritte unternahm, um uns ausfindig zu machen, doch er war einflussreich genug, um nicht

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