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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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Äußerungen des Abts, um mich zu vergewissern, was er von mir dachte, und ich gab mir Mühe, ihm zu gefallen, war er doch der Richter über mein Geschick. Es war mir ein Leichtes zu erkennen, dass ich sein ganzes Wohlwollen besaß, und ich zweifelte nicht mehr daran, dass er geneigt war, mir einen Dienst zu erweisen.
    Eines Tages war ich so kühn, ihn zu fragen, ob er es sei, von dem meine Freilassung abhänge. Er sagte, es liege nicht ausschließlich in seiner Hand, doch er habe Hoffnung, dass aufgrund seines Zeugnisses Monsieur de G… M…, auf dessen Ersuchen hin der Herr Generalleutnant der Polizei mich habe festsetzen lassen, sich einverstanden zeige, mir die Freiheit wiederzugeben.
    «Darf ich zu hoffen wagen», erwiderte ich sanft, «dass diese zwei Monate Gefängnis, die ich bereits abgebüßt habe, ihm als hinreichende Sühne erscheinen werden?»
    Er versprach mir, mit ihm darüber zu reden, falls ich das wünsche. Ich bat ihn auf der Stelle, mir diesen Dienst zu erweisen. Zwei Tage später teilte er mir mit, G… M… sei so gerührt gewesen angesichts der guten Dinge, die er über mich gehört habe, dass er nicht nur die Absicht zu hegen scheine, mir die Freiheit wiederzugeben, sondern auch eine große Neigung verspüre, mich näher kennenzulernen, und dass er sich vorgenommen habe, mich in meinem Gefängnis zu besuchen. Mochte mir seine Gegenwart auch nicht angenehm sein, so betrachtete ich sie doch als nächsten Schritt zu meiner Freiheit.
    Er kam tatsächlich nach Saint-Lazare. Ich fand, dass er würdiger und weniger töricht wirkte als seinerzeit im Hause Manons. Er machte mir einige gut gemeinte Vorhaltungen über meinen schlechten Lebenswandel. Offenbar um seine eigenen Verfehlungen zu rechtfertigen, setzte er hinzu, es sei eine lässliche Schwäche der Männer, sich gewisse Vergnügungen zu verschaffen, die die Natur verlange, doch Betrug und schändliche Schliche verdienten es, bestraft zu werden.
    Ich hörte ihm mit unterwürfiger Miene zu, was ihn zufriedenzustellen schien. Ich zeigte mich nicht einmal gekränkt, als er einige Sticheleien über mein geschwisterliches Verhältnis zu Lescaut und Manon vernehmen ließ und über die Herrgottswinkel, von denen er annehme, so sagte er, dass ich in Saint-Lazare gewiss eine große Anzahl eingerichtet hätte, da mir diese fromme Beschäftigung doch solch Freude bereite. Doch unseligerweise für ihn und für mich entfuhr ihm auch, dass Manon im Hôpital 16 bestimmt ebenfalls sehr hübsche eingerichtet habe. Trotz des Schauders, den das Wort «Hôpital» mir verursachte, hatte ich mich noch genug in der Gewalt, um ihn sanft nach einer Erklärung zu fragen. «Nun ja», gab er zurück, «zwei Monate schon lernt sie im Hôpital général Sittsamkeit, und ich wünschte, es hätte ihr ebenso viel genützt wie Ihnen Saint-Lazare.»
    Wenn mir auch ewiges Gefängnis gedroht oder ich den Tod selbst vor Augen gehabt hätte, ich wäre nicht Herr über meinen Ausbruch geworden angesichts dieser entsetzlichen Nachricht. Ich war so rasend vor Zorn, als ich mich auf ihn stürzte, dass mich beinahe meine Kräfte verließen. Doch sie genügten, um ihn zu Boden zu werfen und ihn bei der Gurgel zu packen. Ich war drauf und dran, ihn zu erwürgen, als der Lärm seines Sturzes und ein paar schrille Schreie, die er gerade noch auszustoßen vermochte, den Abt und ein paar Mönche herbeieilen ließen. Man befreite ihn aus meinen Händen. Fast hätte auch ich eingebüßt, was mir an Kraft und Atem noch verblieben war. «Oh Gott», rief ich unter tausend Seufzern, «Gerechtigkeit des Himmels, muss ich angesichts solcher Niedertracht auch nur einen Augenblick lang weiterleben?»
    Ich wollte mich abermals auf diesen Barbaren stürzen, der mir soeben den Todesstoß versetzt hatte. Man hinderte mich daran. Meine Verzweiflung, meine Schreie und meine Tränen waren unvorstellbar. Ich tat so absonderliche Dinge, dass alle Anwesenden, denen der Grund dafür nicht bekannt war, einander ebenso erschrocken wie verwundert ansahen. Monsieur de G… M… rückte sich unterdessen Perücke und Halstuch zurecht, und voller Wut darüber, so misshandelt worden zu sein, befahl er dem Abt, mich in strengeren Gewahrsam als zuvor zu nehmen und mich mit all den Züchtigungen zu strafen, für die Saint-Lazare bekannt war.
    «Nein, Monsieur», sagte der Abt zu ihm, «bei einem Menschen von der Herkunft des Herrn Chevalier wenden wir diese nicht an. Er ist im Übrigen so sanft und so ehrenhaft, dass ich

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