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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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viel Zeit mit unnützen Maßnahmen zu verlieren, und wir waren unvorsichtig genug, um uns allzu sehr auf die Größe von Paris und auf die Entfernung zu verlassen, die zwischen unserem Viertel und dem seinen lag. Er wurde nicht nur darüber unterrichtet, wo wir uns aufhielten und was wir taten, sondern erfuhr auch, wer ich war, was für ein Leben ich in Paris geführt hatte, von der früheren Liaison, die Manon mit B… gehabt, und von dem Betrug, den sie an ihm geübt hatte, kurz, von all den skandalösen Einzelheiten unserer Geschichte. Das brachte ihn zu dem Entschluss, uns festnehmen und nicht als Verbrecher behandeln zu lassen, sondern als abgefeimte Libertins.
    Wir lagen noch im Bett, als ein Polizeioffizier mit einem halben Dutzend Wachsoldaten in unser Zimmer trat. Sie beschlagnahmten als Erstes unser Geld, oder vielmehr das von Monsieur de G… M…, und nachdem sie uns rüde zum Aufstehen gezwungen hatten, geleiteten sie uns zum Tor, wo zwei Kutschen bereitstanden: In der ersten wurde ohne weitere Erklärungen die arme Manon fortgeschafft, während ich in der anderen nach Saint-Lazare 15 gebracht wurde.
    Man muss solche Wechselfälle erlebt haben, um die Verzweiflung zu ermessen, die sie herbeiführen können. In ihrer Unerbittlichkeit erlaubten mir unsere Bewacher nicht, Manon zu umarmen oder ein Wort an sie zu richten. Lange Zeit wusste ich nicht, was aus ihr geworden war. Es war zweifellos ein Glück für mich, dass ich es zunächst nicht wusste, denn ein so verheerendes Geschick hätte mich um den Verstand und vielleicht sogar ums Leben gebracht.
    Meine unglückliche Geliebte wurde meinen Blicken also entzogen und in ein Asyl gebracht, dessen Namen zu nennen ich verabscheue. Welch ein Los für ein so bezauberndes Geschöpf, das der Welt höchsten Thron innegehabt hätte, wenn alle Männer meine Augen und mein Herz besäßen! Zwar behandelte man sie dort nicht barbarisch, doch wurde sie ganz allein in eine enge Zelle gesperrt und war dazu verurteilt, als unabdingbaren Preis für ein wenig ekelerregende Nahrung jeden Tag ein bestimmtes Arbeitspensum zu verrichten. Ich habe diese betrübliche Tatsache erst viel später erfahren, nachdem ich selbst mehrere Monate einer harten und unerquicklichen Strafe abgesessen hatte. Meine Bewacher hatten mir nicht mitgeteilt, an welchen Ort mich zu bringen sie Befehl hatten, und ich wurde mir meines Schicksals erst am Tor von Saint-Lazare gewahr. In diesem Augenblick hätte ich dem, was ich mir beschieden glaubte, den Tod vorgezogen. Ich hatte entsetzliche Vorstellungen von jenem Haus. Mein Schrecken vergrößerte sich noch, als die Wachen mir beim Eintritt ein weiteres Mal die Taschen durchsuchten, um sich zu vergewissern, dass mir weder Waffen noch andere Mittel verblieben waren, um mich zur Wehr zu setzen.
    Der Abt erschien auf der Stelle; er war bereits von meiner Ankunft in Kenntnis gesetzt worden; er begrüßte mich mit großer Milde.
    «Mein Vater», richtete ich das Wort an ihn, «keine Erniedrigungen. Ich verlöre lieber tausendmal das Leben als eine solche zu erleiden.»
    «Nein, nein, Monsieur», antwortete er, «Sie brauchen sich nur besonnen zu verhalten, und es wird zu beiderseitiger Zufriedenheit sein.»
    Er ersuchte mich, die Treppe zu einem Kabinett hinaufzusteigen. Ich folgte ihm ohne Widerstand. Die Wachen begleiteten uns bis zur Tür, und der Abt, der mit mir eingetreten war, bedeutete ihnen, sich zurückzuziehen.
    «Ich bin also Ihr Gefangener!», sagte ich. «Nun, mein Vater, was gedenken Sie, mit mir zu tun?»
    Er sagte, er freue sich, dass ich mich eines vernünftigen Tones befleißige; seine Aufgabe werde es sein, in mir einen Hang zu Tugend und Religion zu erwecken, und die meine, mir seine Ermahnungen und Ratschläge zunutze zu machen; und sofern ich nur bereit sei, das Wohlwollen zu erwidern, das er mir entgegenbringe, würde ich in meiner Einsamkeit nur glücklich sein.
    «Ach, glücklich!», griff ich seine Worte auf, «mein Vater, Sie wissen nicht, was allein mich glücklich machen kann!»
    «Das weiß ich sehr wohl», gab er zurück, «doch ich hoffe, dass Ihre Neigung sich ändern wird.»
    Aus seiner Antwort schloss ich, dass er über meine Abenteuer und vielleicht auch über meinen Namen unterrichtet war. Ich bat ihn um Aufschluss darüber. Er sagte, natürlich habe man ihn über alles in Kenntnis gesetzt.
    Dieses Wissen war die härteste all meiner Strafen. Ich vergoss einen Strom von Tränen mit allen Zeichen entsetzlichster

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