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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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kaum verstehen kann, wie er sich zu solchen Ausbrüchen hat hinreißen lassen, es sei denn, er hätte gute Gründe dafür gehabt.»
    Diese Reaktion brachte Monsieur de G… M… tatsächlich aus der Fassung. Als er hinausging, sagte er noch, er wisse Mittel, den Abt und mich und all jene, die sich ihm zu widersetzen wagten, fügsam zu machen.
    Der Abt wies seine Mönche an, ihn hinauszugeleiten, und blieb allein bei mir zurück. Er beschwor mich, ihm umgehend zu erklären, was zu meinem ungebührlichen Benehmen geführt habe.
    «Ach, mein Vater», sagte ich, immer noch weinend wie ein Kind, «stellen Sie sich die schrecklichste Grausamkeit vor, malen Sie sich die abscheulichste aller Unmenschlichkeiten aus, denn eine solche ist es, die zu begehen der elende G… M… die Niedrigkeit besaß. Ach, er hat mir das Herz durchbohrt! Niemals werde ich es verwinden. Ich will Ihnen alles erzählen», setzte ich schluchzend hinzu, «Sie sind voller Güte, Sie werden Mitleid mit mir haben.»
    Ich schilderte ihm knapp die langwährende und unbezähmbare Leidenschaft, die ich für Manon hegte, unser prosperierendes Vermögen, ehe wir von unseren eigenen Bediensteten ausgeplündert wurden, die Angebote, die G… M… meiner Geliebten gemacht hatte, die Abmachung, die sie getroffen hatten, und die Umstände, wie sie gebrochen wurde. Um die Wahrheit zu sagen, stellte ich ihm die Dinge in einem für uns möglichst günstigen Licht dar: «Da sehen Sie», fuhr ich fort, «welcher Quelle der Eifer des Monsieur de G… M… für meine Bekehrung entspringt. Er hatte Einfluss genug, mich hier aus purer Rachsucht einsperren zu lassen. Ich verzeihe ihm, doch das ist ja nicht alles, mein Vater: Er hat mir unbarmherzig die kostbarere Hälfte meiner selbst entrissen, er hat sie schmählich ins Hôpital bringen lassen, er hat die Schamlosigkeit besessen, mir das heute persönlich zu verkünden. Ins Hôpital, mein Vater! Himmel! Meine entzückende Geliebte, meine teure Königin im Hôpital, wie das ruchloseste aller Geschöpfe! Wo werde ich die Kraft finden, nicht vor Schmerz und Scham zu sterben?»
    Da der gute Vater mich in so abgrundtiefer Verzweiflung sah, machte er sich daran, mich zu trösten. Er sagte, er habe meine Geschichte nie in dem Sinne verstanden, wie ich sie ihm gerade erzählt hätte; er habe zwar gewusst, dass ich unmoralisch lebte, doch habe er angenommen, der Grund, weshalb Monsieur de G… M… es als seine Pflicht angesehen habe, sich der Sache anzunehmen, sei eine auf Wertschätzung und Freundschaft meiner Familie gegenüber beruhende Verbundenheit gewesen; nur in diesem Sinne habe jener sich ihm gegenüber geäußert; was ich ihm soeben mitgeteilt hätte, lasse meine Situation in ganz anderem Licht erscheinen, und er zweifele nicht, dass die wahrheitsgetreue Darstellung, die er dem Herrn Generalleutnant der Polizei zu geben gedenke, zu meiner Freilassung beitragen würde. Er fragte mich anschließend, warum ich noch nicht daran gedacht hätte, meiner Familie Nachricht von mir zu geben, denn sie sei an meiner Gefangensetzung gänzlich unbeteiligt. Ich begegnete dieser Vorhaltung durch Überlegungen, die den Schmerz beträfen, den meinem Vater zu bereiten ich fürchtete, und die Scham, die ich selbst dabei empfunden hätte. Schließlich versprach er mir, sich auf der Stelle zum Polizeileutnant zu begeben. «Und sei es nur», so setzte er hinzu, «um Schlimmeres vonseiten des Monsieur de G… M… zu verhüten, der unser Haus höchst unzufrieden verlassen hat und hinlänglich Einfluss besitzt, dass man sich vor ihm in Acht nehmen muss.»
    Ich erwartete die Rückkehr des Paters mit der Unruhe eines Unglücklichen, der seinem Urteil entgegensieht. Es war eine unsägliche Folter, mir Manon im Hôpital vorzustellen. Von der Schmählichkeit des Ortes abgesehen wusste ich ja auch nicht, wie sie dort behandelt wurde, und die Erinnerung an gewisse Besonderheiten, die ich über dieses Schreckenshaus hatte sagen hören, weckte meine Qualen alle Augenblicke aufs Neue. Ich war so fest entschlossen, ihr zu Hilfe zu eilen, um welchen Preis und mit welchem Mittel auch immer, dass ich in Saint-Lazare Feuer gelegt hätte, wenn sich mir keine andere Möglichkeit geboten hätte hinauszugelangen. Ich dachte also darüber nach, welche Wege einzuschlagen waren, sollte der Generalleutnant der Polizei mich weiterhin gegen meinen Willen dort festhalten. Ich stellte meinen Erfindungsreichtum auf die Probe; ich ging alle Möglichkeiten durch. Doch ich

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