Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Letzteren zu nehmen, liegt mir so fern, dass ich lieber viel Blut gelassen hätte als einen davon zu gehen, und hieße das nicht, eher mein ganzes Blut zu vergießen, als mich für diese beiden zu entscheiden? Ja, all mein Blut», setzte ich nach kurzem Nachdenken hinzu, «ich werde es zweifellos lieber hergeben, als mich auf solch unterwürfige Bitten zu verlegen. Doch geht es denn hier um mein Blut? Es geht um das Leben Manons und ihren Unterhalt, es geht um ihre Liebe und ihre Treue. Womit wäre sie aufzuwiegen? Bis heute habe ich nichts in die Waagschale geworfen. Sie gilt mir wie Ruhm, Glück und Reichtum. Es gibt zweifellos Dinge, die zu erlangen oder zu meiden ich mein Leben gäbe, doch etwas höher zu achten als mein Leben, ist kein Grund, es ebenso hoch zu achten wie Manon.»
Nach diesen Überlegungen brauchte ich nicht mehr lange, um mich zu entscheiden. Ich setzte meinen Weg fort, entschlossen, als Erstes zu Tiberge zu gehen und von dort zu Monsieur de T….
Als ich Paris erreichte, nahm ich eine Droschke, obwohl ich nichts hatte, womit ich bezahlen konnte; ich rechnete auf die Hilfe, um die ich nachsuchen wollte. Ich ließ mich zum Jardin du Luxembourg fahren, von wo ich nach Tiberge schickte und ihm ausrichten ließ, dass ich ihn erwartete. Er stillte meine Ungeduld, indem er alsbald erschien. Ich klärte ihn ohne Umschweife über meine verzweifelte Lage auf. Er fragte, ob mir die hundert Pistolen, die ich ihm zurückgegeben hatte, genügen würden, und ohne Aufhebens zu machen, ging er sie auf der Stelle holen, mit jener offenen Art und jener Freude am Geben, wie nur Liebe und wahre Freundschaft sie kennen.
Obwohl ich nicht den geringsten Zweifel hatte, dass er auf meine Bitte eingehen würde, war ich doch überrascht, wie großzügig er sie mir gewährte, nämlich ohne mich wegen meiner mangelnden Bußfertigkeit zu schelten. Doch täuschte ich mich, wenn ich wähnte, von seinen Vorhaltungen ganz und gar verschont zu bleiben, denn als er mir sein Geld hingezählt hatte und ich mich zum Aufbruch anschickte, bat er mich, mit ihm eine Runde durch den Park zu gehen.
Ich hatte ihm nichts von Manon erzählt; er wusste nicht, dass sie in Freiheit war; und so ging es in seiner Moralpredigt nur um die tollkühne Flucht aus Saint-Lazare und um seine Besorgnis, ich könne mich, statt mir die Lehren der Tugend, die ich dort empfangen hatte, zunutze zu machen, wieder auf den Weg der Sittenlosigkeit begeben. Er sagte, er sei am Tag nach meinem Ausbruch nach Saint-Lazare gekommen, um mich zu besuchen, und dort über alle Maßen bestürzt gewesen zu erfahren, auf welche Weise ich hinausgelangt war; er habe mit dem Abt darüber gesprochen; der gute Pater sei immer noch vom Schrecken gezeichnet gewesen; dennoch habe dieser die Hochherzigkeit besessen, die Umstände meines Fortgehens vor dem Herrn Generalleutnant der Polizei geheim zu halten, und er habe es zu verhindern gewusst, dass etwas über den Tod des Knechts nach draußen drang; von dieser Seite her hätte ich also überhaupt nichts zu befürchten; doch solle ich, wenn ich noch das geringste Gefühl für Sittsamkeit hätte, die glückliche Wendung nutzen, die der Himmel meiner Sache gegeben habe; ich solle zunächst an meinen Vater schreiben und mich mit ihm aussöhnen; und wenn ich ein einziges Mal seinem Rat folgen wolle: Er sei der Meinung, ich solle Paris verlassen, um in den Schoß meiner Familie zurückzukehren.
Ich hörte mir seinen Vortrag bis zu Ende an. Es gab darin immerhin manches, was mich zufriedenstellte. Zum Ersten war ich hocherfreut, dass ich vonseiten Saint-Lazares nichts zu befürchten hatte. Ich konnte mich in den Straßen von Paris wieder frei bewegen.
Zum Zweiten frohlockte ich darüber, dass Tiberge nicht die geringste Ahnung von der Befreiung Manons und ihrer Rückkehr zu mir hatte. Ich stellte sogar fest, dass er vermieden hatte, sie mir gegenüber zu erwähnen, offenbar in der Meinung, sie stehe meinem Herzen nun weniger nahe, da ich ja, was sie anging, so ruhig und gelassen zu sein schien. Ich beschloss, wenn schon nicht zu meiner Familie zurückzukehren, so doch an meinen Vater zu schreiben, wie Tiberge es mir geraten hatte, und ihm mitzuteilen, dass ich bereit sei, mich wieder meinen Pflichten zu widmen und seinem Willen zu beugen. Ich hoffte ihn dazu zu bewegen, dass er mir Geld schickte, und zwar unter dem Vorwand, ich wolle meine Übungen an der Reit- und Fechtschule wieder aufnehmen, denn ich hätte ihn wohl kaum davon
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