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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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nur durch einen heftigen Wutausbruch zur Wehr zu setzen vermochte. «Welch fürchterliche Verstellung!», rief ich. «Deutlicher denn je sehe ich, dass du nichts als ein durchtriebenes und falsches Frauenzimmer bist. Jetzt erkenne ich deine elende Natur. Adieu, niederträchtiges Geschöpf», fuhr ich fort und erhob mich, «lieber sterbe ich tausendfachen Todes als noch irgend mit dir zu tun zu haben. Und möge mich der Himmel strafen, wenn ich dich je noch des geringsten Blickes würdige! Bleibe bei deinem neuen Liebhaber, liebe ihn, verachte mich, verzichte auf Ehre, auf jeden Anstand; ich lache darüber, es ist mir alles gleichgültig.»
    Sie war über diesen Ausbruch derart erschrocken, dass sie, immer noch bei dem Sessel kniend, von dem ich aufgestanden war, mich bebend anschaute und nicht zu atmen wagte. Ich tat noch einige Schritte in Richtung Tür, doch wandte ich ihr weiter das Gesicht zu und hielt den Blick auf sie geheftet. Aber ich wäre gewiss bar aller menschlichen Regungen gewesen, hätte ich mich gegen so viel Zauber verhärten können.
    Solch barbarische Gewalt lag mir so fern, dass ich, unvermittelt ins Gegenteil verfallend, auf sie zuging oder vielmehr ohne Überlegung zu ihr hinstürzte: Ich nahm sie in die Arme und gab ihr tausend zärtliche Küsse. Ich bat sie um Verzeihung für meinen Zornesausbruch. Ich sei ein grober Klotz, bekannte ich, und verdiente das Glück nicht, von einem Mädchen, wie sie es sei, geliebt zu werden. Ich bat sie, sich hinzusetzen, und nun meinerseits niederkniend, beschwor ich sie, mich ihr zu Füßen anzuhören. Da drängte ich alles, was ein ergebener und leidenschaftlicher Liebhaber an höchster Ehrerbietigkeit und Zärtlichkeit ersinnen kann, in die wenigen Worte, mit denen ich sie um Vergebung bat. Sie möge mir die Gunst gewähren auszusprechen, dass sie mir verzeihe.
    Sie schlang mir die Arme um den Hals und sagte, sie selbst sei es, die auf meine Güte angewiesen sei, wolle sie mich die Schmerzen vergessen machen, die sie mir verursacht habe, und sie beginne, aus guten Gründen zu fürchten, dass ich kein Gefallen finden würde an dem, was sie mir zu ihrer Rechtfertigung zu sagen habe.
    «Ich?», unterbrach ich sie sogleich. «Ach! Ich fordere keine Rechtfertigung von Ihnen. Ich billige alles, was Sie getan haben. Es steht mir nicht zu, nach Gründen für Ihr Verhalten zu verlangen, bin ich doch nur allzu froh, allzu glücklich, wenn meine teure Manon mir nicht die Geneigtheit ihres Herzens entzieht! Aber», fuhr ich fort, als ich bedachte, wie es um mein Schicksal bestellt war, «allmächtige Manon! Da Sie nach Ihrem Belieben mir meine Freuden und meine Leiden bereiten, wird es mir, da ich Ihnen nun durch meine Erniedrigungen und die Beweise meiner Reue Genüge getan habe, gestattet sein, Ihnen von meiner Trübsal und meinen Schmerzen zu sprechen? Werde ich von Ihnen erfahren, was aus mir heute noch werden soll und ob Sie unwiderruflich mein Todesurteil unterschreiben, indem Sie die Nacht mit meinem Rivalen verbringen?»
    Sie nahm sich ein wenig Zeit, um sich ihre Antwort zu überlegen. «Mein Chevalier», sagte sie dann und gab sich wieder ganz beruhigt, «hätten Sie sich zuvor so deutlich erklärt, dann wäre Ihnen einige Aufregung und mir eine recht betrübliche Szene erspart geblieben. Da Ihr Schmerz nur von Ihrer Eifersucht herrührt, hätte ich ihn dadurch gelindert, dass ich mich bereit erklärt hätte, Ihnen auf der Stelle bis ans Ende der Welt zu folgen. Doch ich glaubte, die Ursache für Ihren Kummer sei der Brief gewesen, den ich unter den Augen von Monsieur de G… M… an Sie geschrieben habe, wie auch das Mädchen, das wir Ihnen geschickt haben. Ich dachte, Sie hätten meinen Brief als Verhöhnung empfunden und das Mädchen, von dem Sie sich einbildeten, es habe Sie auf mein Geheiß hin aufgesucht, als Ankündigung gedeutet, dass ich mich von Ihnen trennen wolle, um mich G… M… zu verbinden. Dieser Gedanke war es, der mich auf einmal die Fassung hat verlieren lassen, denn wenn ich auch unschuldig war, kam ich doch bei einigem Nachdenken zu der Einsicht, dass der Schein nicht zu meinen Gunsten sprach. Gleichwohl», so fuhr sie fort, «will ich mich Ihrem Urteil fügen, sobald ich Ihnen die ganze Wahrheit berichtet habe.»
    Sie erzählte mir nun alles, was ihr seit der Zusammenkunft mit G… M… widerfahren war, der sie an dem Ort, wo wir uns jetzt befanden, erwartet hatte. Er habe sie in der Tat wie die vornehmste Prinzessin empfangen. Er habe

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