Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
treffen, und Sie für den Fall, dass ich aus irgendeinem Grund verhindert wäre, Ihr Wort gegeben hätten, am Ende der Rue Saint-André in einer Kutsche auf mich zu warten; deshalb sei es besser, Ihnen Ihre neue Geliebte dorthin zu schicken, und sei es nur, um zu vermeiden, dass Sie die ganze Nacht lang Trübsal bliesen. Ich sagte ihm obendrein, es sei angebracht, Ihnen ein paar Zeilen zu schreiben, um Ihnen diesen Tausch zu erklären, den Sie anderenfalls schwerlich verstehen würden. Er stimmte zu, jedoch musste ich in seiner Gegenwart schreiben, und ich habe mich natürlich gehütet, in meinem Brief allzu deutlich zu werden. So also», setzte Manon hinzu, «hat sich alles zugetragen. Ich verheimliche Ihnen nichts, weder mein Verhalten noch meine Absichten. Das junge Mädchen kam, ich fand sie hübsch, und da ich keine Zweifel hatte, dass meine Abwesenheit Ihnen schmerzlich sein werde, wünschte ich aufrichtig, sie möge geeignet sein, Ihnen für einige Zeit die Langeweile zu vertreiben, denn die Treue, die ich mir von Ihnen wünsche, ist eine des Herzens. Ich wäre entzückt gewesen, hätte ich Ihnen Marcel schicken können, doch ich konnte nicht die kleinste Gelegenheit herbeiführen, ihn in die Dinge einzuweihen, die ich Sie wissen lassen wollte.»
Sie schloss ihren Bericht damit, dass sie mir von der Verlegenheit erzählte, in die sich G… M… versetzt fand, als er die Mitteilung von Monsieur de T… erhielt. «Er schwankte», so sagte sie, «ob er mich allein lassen solle, und er versicherte mir, seine Rückkehr werde nicht auf sich warten lassen. Deshalb sehe ich Sie hier nicht ohne Unruhe, und daher rühren auch meine Zeichen der Überraschung bei Ihrem Eintreten.»
Ich hörte mir diese Erzählung mit großer Geduld an. Gewiss fand sich manches darin, das grausam und demütigend für mich war, denn ihre Absicht, mir untreu zu werden, war so deutlich, dass sie sich nicht einmal die Mühe gegeben hatte, sie mir zu verheimlichen. Sie konnte nicht gehofft haben, dass G… M… sie wie eine Vestalin die ganze Nacht in Ruhe lassen werde. Also hatte sie vorgehabt, die Nacht mit ihm zu verbringen. Welch Eingeständnis einem Geliebten gegenüber!
Ich meinte gleichwohl, dass der Grund für ihre Verfehlung zum Teil bei mir lag, denn ich war es, der sie von den Gefühlen in Kenntnis gesetzt hatte, die G… M… für sie hegte, und ich war so willfährig gewesen, mich blind auf den verwegenen Plan zu ihrem Abenteuer einzulassen. Aufgrund der unwillkürlichen Regung einer Veranlagung, die mir zu eigen ist, war ich obendrein gerührt von der Treuherzigkeit ihres Berichts und der anständigen und offenen Art, mit der sie alles erzählte, bis hin zu den Umständen, die mich am meisten kränkten. «Sie sündigt ohne böse Absicht», sagte ich mir. «Sie ist leichtfertig und unbesonnen, und doch ist sie ehrlich und aufrichtig.» Und bedenken Sie, dass es allein die Liebe war, die mich die Augen vor all ihren Fehlern verschließen ließ. Ich war hochzufrieden angesichts der Hoffnung, meinem Rivalen diesen Abend zu entreißen. Gleichwohl sagte ich zu ihr: «Und die Nacht, mit wem hätten Sie die verbracht?»
Diese Frage, die ich bedrückt an sie richtete, brachte sie in Verlegenheit. Sie antwortete nur stockend mit allerlei Wenn und Aber. Ich hatte Mitleid mit ihrer Not, und um das Gespräch zu beenden, erklärte ich ihr ohne Umschweife, ich erwarte von ihr, dass sie auf der Stelle mit mir komme.
«Das würde ich gern», sagte sie, «aber dann billigen Sie mein Vorhaben ja gar nicht?»
«Ach, genügt es denn nicht», erwiderte ich, «dass ich alles hinnehme, was Sie bislang taten?»
«Wie? Wir nehmen nicht einmal die zehntausend Franc mit?», antwortete sie. «Er hat sie mir gegeben. Sie gehören mir.»
Ich riet ihr, alles aufzugeben und nur noch an unseren raschen Aufbruch zu denken, denn obwohl ich kaum eine halbe Stunde bei ihr gewesen war, fürchtete ich die Rückkehr von G… M… Gleichwohl bat sie so inständig um mein Einverständnis, nicht mit leeren Händen davonzugehen, dass ich meinte, ich müsse ihr etwas zugestehen, nachdem sie mir so weit entgegengekommen war.
Während wir unseren Aufbruch vorbereiteten, hörte ich jemanden an die Haustür klopfen. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass es G… M… war, und in der Aufregung, in die mich dieser Gedanke versetzte, sagte ich zu Manon, er sei ein toter Mann, wenn er sich zeige. Und wirklich war ich von meinem Ausbruch noch nicht so weit wieder hergestellt, dass
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