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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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ich sie beide mit eigener Hand erdolchen werde.»
    Ich warf mich auf einen Stuhl. Mein Hut fiel auf der einen Seite herab, mein Stock auf der anderen. Aus beiden Augen begannen mir Ströme bitterer Tränen zu rinnen. Die rasende Wut, die ich eben noch empfunden hatte, mündete in tiefen Schmerz; ich vermochte nur noch zu weinen, Klagelaute und Seufzer entfuhren mir.
    «Tritt näher, mein Kind, tritt näher», stieß ich an das junge Mädchen gewandt hervor, «tritt näher, denn dich hat man geschickt, um mich zu trösten. Sag mir, ob du Tröstungen für Wut und Verzweiflung kennst, für den Wunsch, sich selbst den Tod zu geben, nachdem man zwei Treulose tötete, die nicht zu leben verdienen. Ja, tritt näher», fuhr ich fort, als ich sah, dass sie einige furchtsame und unsichere Schritt zu mir hin tat. «Komm und trockne meine Tränen, komm und gib meinem Herzen wieder Frieden, komm und sage mir, dass du mich liebst, damit ich mich an eine andere als meine Treulose gewöhne. Du bist hübsch, und vielleicht könnte auch ich dich lieben.»
    Diese befremdliche Szene war eine ungeheure Überraschung für das arme Kind, das nicht einmal sechzehn oder siebzehn Jahre alt war und mehr Schamgefühl als ihresgleichen zu besitzen schien. Sie trat gleichwohl näher, um mich ein wenig zu streicheln, doch ich hielt sie sogleich davon ab und stieß sie mit den Händen von mir. «Was willst du von mir?», sagte ich. «Ach! Du bist eine Frau und bist eines Geschlechts, das ich verabscheue und das ich nicht mehr ertrage. Von der Lieblichkeit deines Gesichts droht mir weiterer Verrat. Geh fort und lass mich hier allein zurück.»
    Sie machte einen Knicks, wagte nicht, noch etwas zu sagen, und wandte sich ab, um hinauszugehen. Ich rief, sie solle stehen bleiben. «Aber sage mir zumindest», so fuhr ich fort, «warum, wie, zu welchem Zweck du hierher geschickt wurdest. Wie hast du meinen Namen in Erfahrung gebracht und den Ort, an dem ich zu finden war?»
    Sie erklärte, sie kenne Monsieur de G… M… seit Langem; er habe sie um fünf Uhr holen lassen, und dem Lakaien folgend, der sie benachrichtigt habe, sei sie in ein großes Haus gekommen, wo sie ihn mit einer hübschen Dame beim Piquetspiel angetroffen habe, und sie sei von den beiden beauftragt worden, mir den Brief auszuhändigen, den sie mir brachte, nachdem man ihr bedeutet habe, sie werde mich in einer Kutsche am Ende der Rue Saint-André finden. Ich fragte sie, ob man ihr nicht noch etwas gesagt habe. Sie antwortete errötend, man habe ihr Hoffnung gemacht, ich werde sie zu mir nehmen, damit sie mir Gesellschaft leiste.
    «Man hat dich getäuscht», sagte ich zu ihr, «mein armes Kind, man hat dich getäuscht. Du bist eine Frau, du brauchst einen Mann; doch du brauchst einen, der reich und glücklich ist, und den findest du hier nicht. Kehre zurück, kehre zurück zu Monsieur de G… M… Er hat alles, was es braucht, um von den Schönen geliebt zu werden; er hat möblierte Palais und Kutschen zu vergeben. Was mich angeht, der ich nichts als Liebe und Beständigkeit zu bieten habe, so verachten die Frauen mein Elend und spielen mit meinem schlichten Gemüt.»
    Ich erging mich noch in tausenderlei trübseligen wie auch ungestümen Äußerungen, je nachdem wie die Leidenschaften, die mich abwechselnd beseelten, nachließen oder die Oberhand gewannen. Hatten meine Gemütswallungen mich hinlänglich gequält, so machten sie schließlich Platz für einiges Nachdenken. Ich verglich diesen neuerlichen Schlag mit den ganz ähnlichen, die ich schon hatte einstecken müssen, und kam zu dem Schluss, dass ich nicht größeren Anlass zur Verzweiflung hatte als bei den vorausgegangenen. Ich kannte Manon; warum mich von einem Unglück niederschmettern lassen, das ich doch hätte vorhersehen müssen? Warum mich nicht lieber damit befassen, nach Abhilfe zu suchen? Es war noch Zeit. Ich durfte es zumindest nicht an Mühe fehlen lassen, wenn ich mir nicht vorwerfen wollte, aus Nachlässigkeit selbst zu meinen Qualen beigetragen zu haben. Ich verlegte mich darauf, alle Mittel in Erwägung zu ziehen, die mir einen Weg zur Hoffnung versprachen.
    Das Unterfangen, Manon mit Gewalt den Armen des G… M… zu entreißen, wäre ein Akt der Verzweiflung gewesen, nur dazu angetan, mich ins Verderben zu stürzen, und ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Dagegen meinte ich, wenn ich auch nur die kleinste Unterredung mit ihr herbeiführen könne, müsse es mir unfehlbar gelingen, in ihrem Herzen etwas

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