Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Angelegenheiten dazwischengekommen, die ihn wider Willen festhielten, und er habe mich gebeten, ihr seine Entschuldigung auszurichten und mit ihr zu speisen, was ich angesichts einer so schönen Dame als große Gunst betrachte.
Sie ging sehr geschickt auf meine List ein. Wir begaben uns zu Tisch. Wir machten ernste Miene, solange die Lakaien anwesend waren, um uns aufzutragen. Nachdem wir sie schließlich entlassen hatten, verbrachten wir einen der zauberhaftesten Abende unseres Lebens. Ich beauftragte Marcel heimlich, eine Droschke aufzutreiben und auszurichten, sie solle sich am folgenden Tag vor sechs Uhr morgens am Tor einfinden.
Ich tat so, als verließe ich Manon um Mitternacht; doch nachdem ich mit Hilfe von Marcel heimlich wieder hereingekommen war, schickte ich mich an, das Bett des G… M… zu beanspruchen, wie ich schon bei Tisch seinen Platz eingenommen hatte.
Indessen arbeitete unser böser Genius an unserem Verderben. Wir befanden uns im Taumel der Wonne, aber das Schwert schwebte schon über unserem Haupt. Der Faden, an dem es hing, sollte bald reißen. Doch um all die Umstände besser verständlich zu machen, die uns ins Unglück führten, muss ich ihre Ursache erklären.
Ein Lakai war G… M… gefolgt, als dieser von dem Leibgardisten gefangen genommen wurde. Erschrocken über das, was seinem Herrn widerfuhr, machte der Bursche auf der Stelle kehrt, und als ersten Schritt, den er unternahm, um ihm zu Hilfe zu kommen, lief er zum alten G… M… und berichtete ihm von dem Geschehen. Eine derart schlimme Nachricht musste den Vater aufs Äußerste beunruhigen: Er hatte nur diesen einen Sohn, und er war für sein Alter noch höchst rege. Zunächst wollte er von dem Lakaien alles wissen, was sein Sohn am Nachmittag unternommen habe, ob er mit jemandem in Streit geraten sei, ob er bei Händeln die Partei eines anderen ergriffen habe, ob er in einem übel beleumdeten Haus gewesen sei. Da jener seinen Herrn in höchster Gefahr wähnte und meinte, um ihm von Hilfe zu sein, dürfe er nun nichts mehr verschweigen, gab er alles preis, was er über dessen Liebe zu Manon wusste. Er berichtete von dem Aufwand, den er ihretwegen getrieben habe, wie er den Abend bis etwa um neun in ihrem Haus verbracht habe, von seinem Aufbruch und von dem Unglück bei seiner Rückkehr.
Das war ausreichend, um den Alten argwöhnen zu lassen, bei der Angelegenheit seines Sohnes gehe es um Liebeshändel. Obwohl es sicherlich schon halb elf Uhr abends war, zögerte er nicht, sogleich den Generalleutnant der Polizei aufzusuchen. Er bat ihn, allen Polizeipatrouillen Sonderbefehle erteilen zu lassen, und nachdem er ihn ersucht hatte, ihm selbst eine als Begleitung beizustellen, eilte er zu der Straße, in der sein Sohn entführt worden war. Er suchte jeden Ort der Stadt auf, an dem er hoffte, ihn finden zu können, und da er keine Spur zu entdecken vermochte, ließ er sich schließlich zum Haus seiner Geliebten führen, denn er dachte sich, dass er vielleicht dorthin zurückgekehrt sei.
Ich war im Begriff, mich zu Bett zu begeben, als er eintraf. Da die Tür des Schlafzimmers geschlossen war, hörte ich nicht, wie an die Haustür geklopft wurde; doch er trat ein, gefolgt von zwei Polizeidienern, und nachdem er sich ohne Erfolg nach dem Verbleib seines Sohnes erkundigt hatte, verspürte er den Wunsch, dessen Geliebte zu sehen, um von ihr Auskunft zu erhalten. Er kommt zu ihren Gemächern herauf, nach wie vor in Begleitung seiner Polizeidiener. Wir wollten uns gerade niederlegen. Er öffnet die Tür, und bei seinem Anblick gefriert uns das Blut in den Adern.
«O Gott! Es ist der alte G… M…!», sage ich zu Manon. Ich stürze zu meinem Degen; doch der hatte sich unseligerweise in meinem Wehrgehänge verfangen. Als die Polizeidiener diese Bewegung sahen, drangen sie ohne Verzug auf mich ein, um ihn mir zu entwinden. Ein Mann im Hemd ist ohne Gegenwehr. Sie nahmen mir jede Möglichkeit, mich zu verteidigen.
Obwohl das Schauspiel G… M… arg zugesetzt hatte, erkannte er mich rasch wieder. An Manon erinnerte er sich noch besser. «Ist es ein Trugbild?», sagte er ernst. «Sehe ich nicht den Chevalier des Grieux und Manon Lescaut vor mir?»
Ich war vor Scham und Schmerz so aufgebracht, dass ich ihm keine Antwort gab. Er schien eine Zeit lang verschiedene Gedanken in seinem Kopf zu wälzen, und als hätten diese mit einem Mal seinen Zorn entflammt, schrie er mich an: «Ah! Unglücklicher! Bestimmt hast du meinen Sohn
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