Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
getötet!»
Diese Anschuldigung reizte mich aufs Heftigste. «Du alter Halunke», gab ich von oben herab zurück, «wenn ich einen aus deiner Familie töten müsste, würde ich mit dir den Anfang machen.»
«Haltet ihn gut fest», sagte er zu den Polizeidienern. «Er muss mir sagen, was mit meinem Sohn geschehen ist; ich werde ihn morgen hängen lassen, wenn er mir nicht sogleich erklärt, was er mit ihm gemacht hat.»
«Du mich hängen lassen?», ergriff ich wieder das Wort. «Nichtswürdiger! Der Galgen ist für deinesgleichen. 21 Lass dir gesagt sein, dass ich von edlerem und reinerem Blut bin als du. Ja», setzte ich hinzu, «ich weiß, was deinem Sohn widerfahren ist, und wenn du mich weiter reizt, so lasse ich ihn erwürgen, ehe der Morgen anbricht, und dir verspreche ich dasselbe Los.»
Ich hatte eine Torheit begangen, als ich ihm bekannte, ich wisse, wo sich sein Sohn befand; doch diese Unvorsichtigkeit war dem Übermaß meines Zorns geschuldet. Er rief sogleich fünf oder sechs weitere Polizeidiener herbei, die an der Tür auf ihn warteten, und befahl ihnen, alle Dienstboten im Haus in Gewahrsam zu nehmen.
«Ah, werter Chevalier», fuhr er in höhnischem Ton fort, «Sie wissen, wo mein Sohn ist, und Sie lassen ihn erwürgen, sagen Sie? Zählen Sie darauf, dass wir unsere Vorkehrungen treffen werden.»
Ich bemerkte sogleich, was für einen Fehler ich begangen hatte. Er näherte sich Manon, die weinend auf dem Bett saß; er sagte ihr einige ironische Galanterien über die Macht, die sie über Vater und Sohn ausübe, und welch guten Gebrauch sie davon gemacht habe. Dieses Ungeheuer an Ausschweifung wollte sich ihr gegenüber Freiheiten herausnehmen.
«Hüte dich, sie anzurühren!», brüllte ich ihn an, «nichts wäre so heilig, dass es dich vor meinen Händen retten könnte.» Er ging hinaus, ließ drei Polizeidiener im Zimmer zurück und befahl ihnen zu veranlassen, dass wir uns auf der Stelle ankleideten.
Ich weiß nicht, wie er weiter mit uns verfahren wollte. Vielleicht hätten wir unsere Freiheit wiedererlangt, wenn wir ihm gesagt hätten, wo sich sein Sohn befand. Ich überlegte, während ich mich anzog, ob das nicht das Beste sei.
Doch sollte er dazu geneigt haben, als er unser Gemach verließ, so hatte sich seine Meinung gründlich gewandelt, als er zurückkehrte. Er hatte die Dienstboten Manons ausgefragt, die von den Polizeidienern festgehalten worden waren. Von den Bediensteten, die ihr sein Sohn gestellt hatte, erfuhr er nichts, doch als ihm zu Ohren kam, dass Marcel bereits zuvor in unseren Diensten gestanden hatte, beschloss er, ihn zum Reden zu bringen, indem er ihn durch Drohungen einschüchterte.
Marcel war ein treuer Bursche, doch schlicht und ungehobelt. Die Erinnerung an das, was er im Hôpital getan hatte, um Manon zu befreien, hatte im Verein mit der Furcht, die G… M… ihm einflößte, eine so gewaltige Wirkung auf seinen schwachen Verstand, dass er sich einbildete, man werde ihn hängen oder aufs Rad flechten. Er versprach, alles zu offenbaren, was ihm zur Kenntnis gelangt sei, wenn man ihn nur am Leben lassen wolle.
Das brachte G… M… auf den Gedanken, es müsse sich bei unseren Angelegenheiten um etwas Ernsteres und Ruchloseres handeln, als er bislang sich vorzustellen Veranlassung hatte. Er bot Marcel für sein Geständnis nicht nur das Leben, sondern gar eine Belohnung an.
Der Unselige verriet ihm einen Teil unseres Plans, den in seiner Gegenwart zu besprechen wir keine Umstände gemacht hatten, denn er musste sich ja ohnehin daran beteiligen. Zwar wusste er gar nichts davon, dass wir unsere Absichten in Paris geändert hatten, doch war er beim Aufbruch aus Chaillot in den vorgesehenen Ablauf der Unternehmung und die Rolle, die er dabei spielen sollte, eingeweiht gewesen. Er berichtete ihm also, dass wir vorgehabt hatten, seinen Sohn zu prellen, und dass Manon zehntausend Franc erhalten solle oder bereits erhalten habe, die, sollte unser Vorhaben gelingen, niemals an die Erben des Hauses G… M… zurückgehen würden.
Auf diese Enthüllung hin kam der wutentbrannte Alte geradewegs in unser Gemach zurück. Ohne ein Wort drang er ins Nebenzimmer ein, wo er ohne Schwierigkeiten das Geld und die Schmuckstücke fand. Mit hochrotem Kopf kehrte er zu uns zurück, zeigte uns, was unser Diebesgut zu nennen ihm beliebte, und überschüttete uns mit wüsten Beschimpfungen. Er hielt Manon die Perlenkette und die Armbänder vor die Augen.
«Erkennen Sie sie wieder?», sagte
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