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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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er mit spöttischem Lächeln zu ihr. «Die haben Sie nicht zum ersten Mal gesehen. Wahrhaftig, es sind dieselben. Sie waren nach Ihrem Geschmack, nicht wahr, meine Schöne? Das will ich gerne glauben. Die armen Kinder!», setzte er hinzu. «Sie sind ja recht liebenswert, in der Tat, eines wie das andere, doch leider ein wenig spitzbübisch.»
    Mir barst das Herz vor Wut ob dieser beleidigenden Rede. Ich hätte einiges darum gegeben, einen Augenblick lang frei zu sei n … Gerechter Himmel! Was hätte ich nicht darum gegeben! Schließlich tat ich mir Gewalt an und sagte zu ihm mit einer Mäßigung, die lediglich ein verfeinerter Ausdruck meines Zornes war: «Machen wir ein Ende, werter Herr, mit diesen unverschämten Spötteleien. Worum geht es denn? Lassen Sie hören, was Sie mit uns vorhaben.»
    «Es geht darum, werter Chevalier», antwortete er, «dass Sie auf der Stelle ins Châtelet 22 wandern. Morgen ist auch noch ein Tag, da werden wir klarer sehen, und ich hoffe, dass Sie dann so gnädig sind und mir sagen, wo mein Sohn ist.»
    Ich begriff ohne langes Nachdenken, dass es schreckliche Folgen für uns hätte, wären wir erst einmal im Châtelet eingesperrt. Erschauernd sah ich alle Gefahren voraus, die damit verbunden waren. All meinen Stolzes ungeachtet wurde mir klar, dass es galt, mich meinem Schicksal zu beugen und meinem ärgsten Feind zu schmeicheln, um bei ihm durch Unterwürfigkeit etwas zu erreichen. Ich bat ihn höflich, mich einen Moment anzuhören.
    «Monsieur, ich werde mein eigener Richter sein», sagte ich zu ihm. «Ich bekenne, dass meine Jugend mich große Fehler hat begehen lassen, die Ihnen Verletzungen zugefügt haben, über die Sie zu Recht klagen. Wenn Sie jedoch die Macht der Liebe kennen, wenn Sie ermessen können, was ein unglücklicher junger Mann erleidet, dem man alles nimmt, was er liebt, dann werden Sie vielleicht verzeihlich finden, dass ich mir das Labsal einer kleinen Rache gönnen wollte, oder Sie werden mich doch für hinreichend bestraft halten durch die Kränkung, die ich erdulden musste. Es bedarf weder des Gefängnisses noch der Folter, um mich dazu zu zwingen, dass ich Ihnen entdecke, wo sich Ihr Herr Sohn aufhält. Er ist in Sicherheit. Meine Absicht war nicht, ihm zu schaden oder Sie zu beleidigen. Ich bin bereit, Ihnen den Ort zu nennen, wo er in Ruhe die Nacht verbringt, wenn Sie mir die Gnade erweisen, uns die Freiheit zu gewähren.»
    Weit davon entfernt, sich durch meine Bitten rühren zu lassen, drehte mir das alte Ungeheuer lachend den Rücken zu. Er ließ lediglich ein paar Worte vernehmen, mit denen er mir zu verstehen gab, dass er über unseren Plan zur Gänze im Bilde sei. Was seinen Sohn angehe, so setzte er roh hinzu, so werde der sich schon wieder einfinden, da ich ihn ja nicht ermordet hätte.
    «Führt sie ab ins Petit Châtelet 23 », sagte er zu den Polizeidienern, «und gebt acht, dass euch der Chevalier nicht entwischt. Er ist durchtrieben und hat sich schon einmal aus Saint-Lazare davongemacht.»
    Er ging hinaus und ließ mich in einem Zustand zurück, den Sie sich wohl vorstellen können. «O Himmel!», rief ich, «aus deiner Hand will ich demütig alle Schläge hinnehmen, doch dass einem unseligen Schuft die Macht gegeben sein soll, mich mit dieser Willkür zu behandeln, das treibt mich in tiefste Verzweiflung.»
    Die Polizeidiener forderten uns auf, sie nicht länger warten zu lassen. Sie hatten einen Wagen an der Haustür. Ich reichte Manon die Hand, um sie die Treppe hinabzugeleiten. «Kommen Sie, meine teure Königin», sagte ich zu ihr, «kommen Sie und fügen Sie sich der ganzen Härte unseres Geschicks. Vielleicht ist der Himmel so gnädig, uns eines Tages glücklicher zu machen.»
    Wir fuhren in demselben Wagen. Sie schmieg te sich in meine Arme. Ich hatte sie seit dem Moment, da G… M… eingetreten war, nicht ein einziges Wort sagen hören; doch als sie nun mit mir allein war, sagte sie mir tausenderlei Koseworte und beschuldigte sich, die Ursache meines Unglücks zu sein. Ich versicherte ihr, mich niemals über mein Los zu beklagen, solange sie nur nicht aufhöre, mich zu lieben. «Nicht ich bin es, der zu beklagen ist», fuhr ich fort. «Ein paar Monate Gefängnis schrecken mich nicht, und das Châtelet ist mir gewiss lieber als Saint-Lazare. Um dich aber, meine teure Seele, sorgt sich mein Herz. Was für ein Los für ein so bezauberndes Geschöpf! Wie kannst Du, o Himmel, mit dem vollkommensten deiner Werke so unerbittlich verfahren?

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