Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
hätte hören lassen.
Mein Vater war nicht naiv; er begriff, dass sich hinter meinem Schweigen, das Tiberge beklagte, etwas verbarg, das diesem entging, und er setzte so viel Mühe daran, mich aufzuspüren, dass er zwei Tag nach seiner Ankunft erfuhr, dass ich mich im Châtelet befand.
Doch vor seinem Besuch, den ich allerdings so bald nicht erwartet hatte, beehrte mich der Generalleutnant der Polizei, oder, um die Dinge beim Namen zu nennen, ich wurde einem Verhör unterzogen. Er machte mir gewisse Vorhaltungen, aber diese waren weder hart noch verletzend. Milde gestimmt sagte er, er beklage mein ungutes Verhalten; es sei nicht sehr klug gewesen, mir jemanden wie Monsieur de G… M… zum Feind zu machen; doch eigentlich sei ja offenkundig, dass es in meiner Sache eher Unbedachtsamkeit und Leichtsinn gegeben habe denn bösen Willen; nichtsdestoweniger sei es aber schon das zweite Mal, dass ich es mit seiner Gerichtsbarkeit zu tun bekäme; dabei habe er doch gehofft, ich sei einsichtiger geworden, nachdem mir in Saint-Lazare eine Lektion von zwei oder drei Monaten erteilt worden sei.
Ich war froh darüber, es mit einem vernünftigen Richter zu tun zu haben, und erklärte mich ihm in so ehrerbietiger und maßvoller Weise, dass er mit meinen Einlassungen äußerst zufrieden schien.
Er sagte, ich solle mich nicht allzu sehr grämen, und er sei geneigt, sich meiner Herkunft und meiner Jugend wegen für mich einzusetzen.
Ich ging das Wagnis ein, ihm Manon ans Herz zu legen und ihm ein Loblied auf ihre Sanftmut und ihre Gutartigkeit zu singen. Er gab mir lachend zur Antwort, er habe sie zwar noch nicht gesehen, doch habe man sie ihm als eine gefährliche Person geschildert.
Dieses Wort beflügelte meine Empfindungen für sie so sehr, dass ich ihm tausenderlei leidenschaftliche Argumente zur Verteidigung meiner armen Geliebten anführte, und ich konnte auch die Tränen nicht ganz zurückhalten.
Er gab Befehl, mich in meine Kammer zu führen. «Liebe, ach Liebe!», rief dieser würdevolle Richter, als er mich hinausgehen sah, «bist du denn niemals mit der Klugheit zu versöhnen?»
Ich war dabei, traurig meinen Gedanken nachzuhängen und über das Gespräch nachzusinnen, das ich mit dem Generalleutnant der Polizei geführt hatte, als ich hörte, wie die Tür zu meiner Kammer geöffnet wurde: Es war mein Vater. Obwohl ich doch halbwegs auf seinen Anblick hätte vorbereitet sein müssen, da ich ihn ja dieser Tage erwartete, war ich davon so heftig betroffen, dass ich mich, wenn sich die Erde zu meinen Füßen aufgetan hätte, in die Tiefe gestürzt hätte. Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn, wobei alles auf meine äußerste Verwirrung hindeutete. Er setzte sich nieder, ohne dass er oder ich den Mund geöffnet hätten.
Da ich gesenkten Blicks und unbedeckten Hauptes stehen blieb, sagte er ernst zu mir: «Setzen Sie sich, Monsieur, setzen Sie sich. Dem Skandal Ihrer Ausschweifungen und Ihrer Missetaten ist es zu danken, dass ich Ihren Aufenthaltsort herausgefunden habe. Das ist der Vorzug so eines Verdienstes, er kann nicht verborgen bleiben. Sie sind unfehlbar auf dem Weg zum Ruhm. Ich hoffe nur, dass er bald schon mit der Place de Grêve 24 sein Ziel erreicht und dass Ihnen in der Tat die Ehre zuteilwird, dort aller Welt zur Bewunderung ausgestellt zu werden.»
Ich erwiderte nichts. Er fuhr fort: «Wie ist doch ein Vater unglücklich, wenn er, nachdem er einen Sohn zärtlich geliebt hat und es an nichts hat fehlen lassen, um aus ihm einen ehrlichen Menschen zu machen, in ihm am Ende nur einen Spitzbuben findet, der ihn entehrt! Über einen zufälligen Schicksalsschlag tröstet man sich hinweg: Die Zeit tilgt ihn, und der Gram vergeht. Doch welch Mittel gibt es gegen ein Übel, das mit jedem Tag größer wird, wie die Ausschweifungen eines lasterhaften Sohnes, der jegliches Ehrgefühl verloren hat? Du sagst nichts, Unglücklicher», setzte er hinzu, «man sehe nur diese falsche Bescheidenheit und diese Miene heuchlerischer Sanftmut; hielte man ihn nicht für den Ehrenhaftesten seines Stands?»
Obgleich ich anerkennen musste, dass ich einen guten Teil dieser Schmähungen verdiente, so schien es mir doch, dass er sich allzu sehr hinreißen ließ. Ich meinte, es müsse mir erlaubt sein, meine Gedanken offen darzulegen.
«Ich versichere Ihnen, Monsieur», sagte ich zu ihm, «dass die Bescheidenheit, in der Sie mich vor sich sehen, keineswegs erkünstelt ist; es ist die natürliche Haltung eines Sohnes aus gutem
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