Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Hause, der seinem Vater unendlichen Respekt zollt, und besonders einem erzürnten Vater. Ich nehme auch nicht für mich in Anspruch, als der Tugendhafteste unseres Stands zu gelten. Ich gebe zu, dass Ihr Tadel berechtigt ist, doch beschwöre ich Sie, ein wenig mehr Güte walten zu lassen und mich nicht wie den ehrlosesten aller Menschen zu behandeln. So harte Worte verdiene ich nicht. Der Grund für alle meine Vergehen, und das wissen Sie, ist die Liebe. Verhängnisvolle Leidenschaft! Ach! Kennen Sie nicht deren Macht, und kann es sein, dass Ihr Blut, das der Ursprung des meinigen ist, niemals die gleiche Glut empfunden hat? Die Liebe machte mich zu sanft, zu leidenschaftlich, zu treu und vielleicht auch zu nachgiebig gegenüber den Wünschen einer so betörenden Geliebten; darin bestehen meine Verbrechen. Sehen Sie eines darunter, das Sie entehrte? Auf, mein teurer Vater», setzte ich sanft hinzu, «ein wenig Mitleid für einen Sohn, der stets voller Hochachtung und Liebe für Sie gewesen ist, der nicht, wie Sie meinen, Ehre und Pflichtgefühl verworfen hat und der tausendmal mehr zu bedauern ist, als Sie sich vorzustellen vermögen.» Am Ende dieser Worte konnte ich einige Tränen nicht zurückhalten.
Ein Vaterherz ist das Meisterwerk der Natur; sie herrscht darin gleichsam voller Nachsicht und bestimmt dort über alle Beweggründe. Mein Vater, zudem ein Mann von Geist und Geschmack, war so bewegt von der Art und Weise, wie ich meine Entschuldigungen vorgebracht hatte, dass es nicht in seiner Macht stand, mir diesen Wandel zu verbergen.
«Komm, mein armer Chevalier», sagte er zu mir, «komm und umarme mich; du erweckst mein Mitleid.»
Ich umarmte ihn; er drückte mich auf eine Weise, die mich erahnen ließ, was in seinem Herzen vorging.
«Doch welchen Weg wählen wir nun, um dich hier herauszubringen? Schildere mir ganz unverhohlen all deine Angelegenheiten.»
Da es in meinem Verhalten eigentlich nichts gab, was mich vollends hätte entehren können, zumindest im Vergleich zu dem anderer junger Leute aus gewissen Kreisen, und da es in dem Jahrhundert, in dem wir leben, nicht als schandbar gilt, eine Geliebte zu haben, und ebenso wenig, wenn man dem Schicksal etwas nachhilft, um sich beim Spiel das Glück hold zu stimmen, erzählte ich meinem Vater ehrlich bis in alle Einzelheiten von dem Leben, das ich geführt hatte. Bei jeder Verfehlung, die ich ihm eingestand, achtete ich darauf, berühmte Beispiele anzuführen, um so die Schande zu vermindern.
«Ich lebe mit einer Geliebten», sagte ich zu ihm, «ohne durch Hochzeitsfeierlichkeiten mit ihr verbunden zu sein: Der Herzog vo n … hält sich deren sogar zwei, und das vor den Augen von ganz Paris; Monsieur d e … hat seit zehn Jahren eine und er liebt sie mit einer Treue, die er seiner Frau niemals entgegengebracht hat; zwei Drittel aller ehrbaren Herren Frankreichs betrachten es als eine Ehrensache, sich eine solche zu halten. Ich habe beim Spiel zuweilen betrogen: Der Marquis vo n … und der Graf vo n … haben gar kein anderes Einkommen; der Fürst vo n … und der Herzog vo n … sind Anführer einer Bande von Rittern desselben Ordens.»
Und was meine Absichten auf die Geldbörse der beiden G… M… anbelangt, so wäre mir der Nachweis leichtgefallen, dass es mir auch dafür nicht an Vorbildern gemangelt hätte; doch war mir zu viel Ehrgefühl verblieben, als dass ich mich nicht hätte selbst verurteilen müssen im Verein mit all denen, die ich mir zum Vorbild hätte nehmen können, und so bat ich meinen Vater, diese Schwäche den beiden gewaltigen Leidenschaften anzulasten, die mich umgetrieben hätten, der Rache und der Liebe nämlich.
Er fragte mich, ob ich ihm nicht Hinweise geben könne, wie meine Freiheit auf dem schnellsten Weg und möglichst ohne Aufsehen für ihn zu erlangen sei. Ich erzählte ihm von der guten Meinung, die der Herr Generalleutnant der Polizei von mir habe.
«Wenn Sie etwa auf Schwierigkeiten stoßen», sagte ich zu ihm, «dann können diese nur auf die beiden G… M… zurückgehen; deshalb glaube ich, es wäre angebracht, dass Sie sich die Mühe machten, sie aufzusuchen.»
Er versprach es mir.
Ich wagte nicht, ihn darum zu bitten, sich auch für Manon zu verwenden. Es war kein Mangel an Beherztheit, sondern Folge der Furcht, die ich hegte, ein solches Ansinnen könne seinen Unwillen erregen und Pläne in ihm erwecken, die für sie und für mich verhängnisvoll wären. Ich weiß bis heute nicht, ob nicht gerade durch
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