Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Zweifel hegte, sie würde ihm gefallen, wenn es mir gelänge, ihm ihre Sittsamkeit und ihre Vorzüge vor Augen zu führen: Mit einem Wort, ich schmeichelte mir, ich könne von ihm die Erlaubnis erhalten, sie zu heiraten, da ich die Hoffnung aufgegeben hatte, dies ohne seine Einwilligung tun zu können. Ich weihte Manon in mein Vorhaben ein und gab ihr zu verstehen, dass dabei über Liebe und Pflicht hinaus auch die schiere Notwendigkeit eine Rolle spielte, denn unsere Mittel waren äußerst kümmerlich geworden, und ich begriff allmählich, dass sie nicht unerschöpflich waren.
Manon nahm diesen Vorschlag recht kühl auf. Da jedoch die Einwände, die sie erhob, von ihrer zärtlichen Liebe herrührten und von ihrer Angst, mich zu verlieren, falls mein Vater sich nicht auf unsere Pläne einließe, nachdem er erst einmal Kenntnis unseres Zufluchtsortes erhalten hatte, ahnte ich nicht im Geringsten, welch grausamer Schlag gegen mich in Vorbereitung war. Hinsichtlich der Notlage führte sie ins Feld, dass wir noch auf einige Wochen unser Auskommen hätten und dass sie danach dank der Gewogenheit gewisser Verwandter fern von Paris, an die sie schreiben wolle, Mittel finden werde. Sie versüßte mir ihre Weigerung durch so zärtliche und leidenschaftliche Liebkosungen, dass ich, der ich nur in ihr lebte und ihrem Herzen nicht das geringste Misstrauen entgegenbrachte, all ihren Antworten und Entschlüssen vollauf zustimmte.
Ich hatte ihr die Verfügung über unsere Ersparnisse überlassen, wie auch die Aufgabe, unsere täglichen Aufwendungen zu begleichen. Bald darauf bemerkte ich, dass unser Tisch besser bestellt war und dass sie sich selbst einiges an kostspieliger Ausstattung gegönnt hatte. Da mir nun nicht unbekannt war, dass uns kaum zwölf oder fünfzehn Pistolen 7 verblieben waren, äußerte ich mein Erstaunen über unseren offenkundig zunehmenden Wohlstand. Lachend bat sie mich, kein Aufhebens davon zu machen. «Habe ich Ihnen denn nicht versprochen», so sagte sie, «dass ich Mittel finden würde?»
Meine Liebe zu ihr war zu arglos, als dass ich mich leicht hätte beunruhigen lassen.
Eines Tages, als ich nachmittags ausgegangen war und ihr angekündigt hatte, dass ich länger als gewöhnlich fortbleiben werde, musste ich zu meinem Erstaunen bei meiner Rückkehr zwei oder drei Minuten an der Tür warten. Wir hatten als Bedienstete nur ein ganz junges Mädchen, das beinahe in unserem Alter war. Als sie mir öffnen kam, fragte ich sie, warum es so lange gedauert habe. Sie antwortete mir mit verlegener Miene, sie habe mich nicht anklopfen hören. Ich hatte nur einmal geklopft; also sagte ich: «Aber wenn Sie mich nicht gehört haben, warum sind Sie dann gekommen, mir zu öffnen?»
Diese Frage brachte sie derart außer Fassung, dass sie nicht geistesgegenwärtig genug war, um mir darauf zu antworten, und sie fing an zu weinen und beteuerte, es sei nicht ihre Schuld und Madame habe ihr verboten, die Tür zu öffnen, ehe nicht Monsieur de B … durch das andere Treppenhaus fortgegangen sei, das vom Nebenzimmer aus zugänglich war.
Ich war dermaßen verwirrt, dass ich nicht die Kraft hatte, die Wohnung zu betreten. Ich beschloss, wieder hinunterzugehen, und zwar unter dem Vorwand, ich hätte noch eine Angelegenheit zu regeln, und gab dem jungen Ding Anordnung, der Herrin zu sagen, dass ich bald zurückkäme, sie jedoch nicht wissen zu lassen, dass sie mir von Monsieur de B… erzählt hab e …
Meine Bestürzung war so groß, dass ich, während ich die Treppe hinabstieg, Tränen vergoss, ohne noch zu wissen, welcher Empfindung sie entsprangen. Ich betrat das erstbeste Café, und als ich mich an einen Tisch gesetzt hatte, stützte ich den Kopf in beide Hände, um mir darüber klar zu werden, was in meinem Herzen vor sich ging. Ich wagte nicht, mir zu vergegenwärtigen, was ich soeben gehört hatte. Ich wollte es als Einbildung abtun, und zwei- oder dreimal war ich im Begriff, in unsere Wohnung zurückzukehren, ohne mir anmerken zu lassen, dass mir etwas aufgefallen war. Es schien mir unmöglich, dass Manon mich hintergangen haben sollte, und so fürchtete ich, sie mit meinem Verdacht zu beleidigen. Ich liebte sie abgöttisch, so viel ist gewiss; ich hatte ihr ebenso viele Liebesbeweise gegeben, wie ich von ihr empfangen hatte; warum sollte ich sie bezichtigen, weniger aufrichtig und weniger beständig zu sein als ich? Welchen Grund hätte sie gehabt, mich zu betrügen? Es war erst drei Stunden her, dass sie mich mit
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