Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
für umsichtiger gehalten, doch hoffe er, dass mich mein kleines Abenteuer Vernunft gelehrt habe.
Ich machte mir von dieser Ansprache nur das zu eigen, was mit meinen Absichten zu vereinbaren war. Ich dankte meinem Vater dafür, dass er die Güte habe, mir zu verzeihen, und versprach ihm, mich einem fügsameren und geordneteren Lebenswandel zu weihen. Im Grunde meines Herzens jedoch triumphierte ich, denn wie sich die Dinge entwickelten, zweifelte ich nicht daran, dass es mir ein Leichtes sein werde, mich noch am selben Abend aus dem Haus fortzustehlen.
Man begab sich zu Tisch; man spottete über die Eroberung, die ich in Amiens gemacht hatte, und über meine Flucht mit dieser gar so treuen Geliebten. Diese Sticheleien nahm ich gutmütig hin. Ich war sogar recht angetan davon, dass ich mich über das unterhalten durfte, was meinen Geist ohnehin ständig beschäftigte. Doch einige Bemerkungen meines Vaters ließen mich äußerst gespannt zuhören: Er sprach von der Niedertracht des Monsieur B… und dem eigennützigen Dienst, den dieser ihm erwiesen habe. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich ihn jenen Namen aussprechen hörte, und ich bat ihn demütig, sich ausführlicher zu erklären. Er wandte sich an meinen Bruder und fragte ihn, ob er mir nicht die ganze Geschichte erzählt habe. Mein Bruder gab zur Antwort, ich sei ihm unterwegs so gefasst vorgekommen, dass er gemeint habe, ich bedürfe dieses Mittels nicht, um von meiner Torheit geheilt zu werden. Ich bemerkte, dass mein Vater schwankte, ob er sich vollends erklären sollte. Ich flehte ihn so inständig an, dass er mir Genüge tat, oder vielmehr, dass er mir einen schier tödlichen Schlag versetzte, denn er berichtete mir schonungslos das denkbar Entsetzlichste.
Er fragte mich zunächst, ob ich immer noch einfältig genug sei zu glauben, dass ich von meiner Mätresse geliebt werde. Ich antwortete ihm kühn, ich sei mir dessen so sicher, dass nichts mein Vertrauen in diesen Glauben erschüttern könne.
«Hahaha», lachte er aus Leibeskräften, «das ist ja ausgezeichnet! Du bist ein rechter Tropf, und ich freue mich ungemein, dich von solchen Gefühlen bestimmt zu sehen. Eigentlich ist es ein Jammer, mein armer Chevalier, dich in den Malteserorden eintreten zu lassen, da du doch ein solches Talent zum geduldigen und gefügigen Gatten hast.»
Er erging sich noch in vielerlei handfesten Spötteleien über das, was er meine Einfalt und Leichtgläubigkeit nannte. Da ich Stillschweigen bewahrte, fuhr er schließlich fort und sagte mir, dass Manon mich den Berechnungen zufolge, die er über die Zeit seit meiner Abreise aus Amiens anstellen konnte, etwa zwölf Tage lang geliebt habe. «Denn», so setzte er hinzu, «ich weiß, dass du am 28. des letzten Monats aus Amiens aufgebrochen bist; jetzt haben wir den 29. dieses Monats; es ist elf Tage her, dass Monsieur B… mir geschrieben hat; ich nehme an, dass er acht gebraucht hat, um mit deiner Geliebten eingehend bekannt zu werden; wenn man also elf und acht von den einunddreißig Tagen abzieht, die es vom 28. des einen Monats bis zum 29. des folgenden dauert, bleiben zwölf Tage, oder ein paar mehr oder weniger.»
Daraufhin hob das Gelächter wieder an. Das Herz stockte mir von all dem, was ich mir anhören musste, und ich befürchtete, nicht bis zum Ende dieser tristen Komödie durchzuhalten.
«Du weißt nun also», hob mein Vater wieder an, «was du bislang nicht gewusst hast, nämlich dass Monsieur B… das Herz deiner Prinzessin erobert hat, denn er macht sich über mich lustig und tut so, als wolle er mich überzeugen, dass er aus uneigennützigem Eifer gehandelt und sie dir mir zu Gefallen abspenstig habe machen wollen. Ausgerechnet von einem solchen Mann, mit dem ich im Übrigen gar nicht bekannt bin, sollte man derart noble Gefühlsregungen erwarten! Er hat von ihr in Erfahrung gebracht, dass du mein Sohn bist, und um sich deiner lästigen Gegenwart zu entledigen, hat er mir geschrieben, wo du dich befindest und in welch liederlichen Verhältnissen du lebst, und zudem angedeutet, man brauche tatkräftige Hilfe, um deiner habhaft zu werden. Er hat seine Unterstützung angeboten, damit ich dich umso leichter zu fassen bekäme, und seine Hinweise und auch die deiner Geliebten haben es deinem Bruder ermöglicht, dich zu überraschen. Nun freu dich über die Dauer deines Erfolgs. Du verstehst es, recht rasch zu siegen, Chevalier, doch deine Eroberungen zu bewahren, verstehst du nicht. 8 »
Ich hatte
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