Die Geschichte einer Kontra-Oktove
Rivalen Zeuxis, sich und seine Kunst in einer einzigen Linie vollkommen zu offenbaren. Apelles nahm die Herausforderung an, besuchte Zeuxis, als dieser nicht zu Hause war, und verführte dessen Frau. Pasternak hat Heine die Rolle des Apelles im realen Italien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugewiesen. Er macht den Auferstandenen zum Partner einer sinnverwirrenden Liebesaffäre und läßt ihn »zu Lebzeiten des Dichters ungedruckte Verse« schreiben und veröffentlichen.
In der Erzählung Briefe ans Tula nimmt Pasternak dem echten Künstler die romantischen Attribute und macht ihn zu einem von niemandem beachteten, von allen vergessenen alten Mann. Dagegen stattet er eine bramabarsierende Gruppe aufgeblasener Filmdarsteller mit jenen Attitüden aus, die prahlerisch Zugehörigkeit zur Kunstund Kulturwelt demonstrieren. Dem Autor am nächsten ist der »junge Dichter«. Er »beobachtet sich selbst an dem geschmacklosen Gehabe der Schauspieler, an dem schändlichen Stück, das seine Zeitgenossen und seine Zeit entlarvt«. In der Wendung eines Schauspielers an ihn als »Kollegen« erblickt er den Beweis dafür, daß auch seine eigene Arbeit nichtswürdig sei. In Gewissensqualen denkt er über seine Kunst nach, darüber, wie er auf den einzig echten Weg gelangen könne. Ein alter arbeitsloser Schauspieler hatte den ganzen Tag über die Filmleute bei ihren Außenaufnahmen zu einem historischen Film zugeschaut – entsetzt von der Trivialität der Szenen und tief verstört. Er findet erst wieder zu sich selbst, als er allein in seinem Hotelzimmer eine Szene spielt, in der er längst vergangene Tage wieder aufleben läßt, er hört und sieht sich und seine verstorbene Frau in ihrer Jugend. Diese Episode illustriert Pasternaks Gedanken über eine der wichtigsten Funktionen der Kunst: Gesehenes, Erlebtes in Leben zu verwandeln. Kunst, die auf dieses Ziel gerichtet ist, und fähig, es zu erreichen, bezeichnet Pasternak als realistische Kunst, deren unerläßliche Voraussetzung Unversehrtheit des historischen Bewußtseins sei.
»Realismus ist wahrscheinlich jenes Maß an schöpferischer Detaillierung, das vom Künstler weder banale ästhetische Regeln verlangt, noch jeweils ihm zeitgenössische Hörer und Zuschauer. Gerade an diesem Punkt jedoch verharrt immer die Kunst der Romantik, sie begnügt sich mit oberflächlicher Zeitgenossenschaf. Wie wenig ist nötig, auf daß sie blühe! In ihren Verlautbarungen ist schwülstiges Pathos, verlogener Tiefgang und verspielte Lieblichkeit – alle Formen des Gekünstelten stehen ihr zu Gebote.
Der Realist befindet sich in einer völlig anderen Lage. Sein Tun ist Kreuz und Prädestination. Nicht ein Schatten von Willkür, von kapriziöser Laune. Wie kann er spielen, wenn seine Zukunf selbst mit ihm spielt, wenn er ihr Spielzeug ist! Und vor allem. Was macht den Künstler zum Realisten? Was erschaf ihn? Uns scheint, frühe Beeindruckbarkeit in der Kindheit und zeitgerechte Gewissenhafigkeit im Mannesalter. Eben diese beiden Faktoren sind Impulse seiner Arbeit. Dem romantischen Künstler sind sie unbekannt, für ihn
sind sie nicht verpflichtend. Den Realisten treiben seine Erinnerungen auf das Gebiet der technischen Entdeckungen, er braucht sie unabdingbar, um seine Erinnerungen zu reproduzieren. Künstlerischer Realismus, so scheint uns, ist die Tiefe der biographischen Prägung, die zur wichtigsten den Künstler bewegenden Kraf wird und ihn zu Neuerung und Originalität treibt.« 9
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Ein Teilergebnis der Beschäfigung mit Pasternaks Realismus ist die Möglichkeit, in seinen Texten genaue Merkmale konkreter Sachverhalte zu finden, die mit der einen oder anderen beschriebenen Begebenheit verbunden sind.
Im Laufe unserer Arbeiten machten wir die Erfahrung, daß es bei Pasternak keine sogenannten allgemeinen Orte gibt; und eine Periode, die beim flüchtigen Lesen den Eindruck schöner poetischer Umschweife hervorruf, enthält fast immer im einzelnen die exakte Beschreibung psychologischer Phänomene, beruht auf historischer Untersuchung, auf Recherchen in geographischen oder naturwissenschaflich-historischen Atlanten oder schließlich auf wie durch ein Wunder von ihrer melodramatischen Oberflächlichkeit befreiter protokollarischer Zeitungsmeldung.
An biographischer Realität liegen der Geschichte einer Kontra-Oktave hauptsächlich die beiden Deutschlandaufenthalte von 906 und 92 zugrunde.
Von der ersten Reise erzählt der Bruder Alexander Leonidowitsch ausführlich in
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