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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Denken nicht mehr zu seinen Gewohnheiten.
    An diesem Morgen hätte er beinahe die blinkende Weihnachtslichterkette an der Decke seines Zimmers ignoriert. Die Weihnachtslichter gehörten zu den Projekten, die er kurz nachdem sie hergekommen waren zu Ende gebracht hatte. Ihm war klar geworden, dass ihm seine Privatsphäre sehr viel wert war und dass er sie schützen wollte. Deshalb hatte er mit einem Buzzer herumexperimentiert, bis er auf die Idee mit der Lichterkette gekommen war. Wenn ein Besucher auf den Klingelknopf neben der Haustür drückte, blinkten die Lämpchen, bis Homan darauf aufmerksam wurde. Als er King und Queen seine Erfindung vorführte, zeigten sie ihm offen ihre Anerkennung. Danach hatte Homan auch im Haupthaus Lichter installiert für die Zeiten, in denen die Gäste schweigen sollten. Sie erschraken immer, wenn sie das erste Mal die Türglockenlichter blinken sahen, später erwischte Homan sie dabei, wie sie ihm respektvolle Blicke zuwarfen, wenn er die Böden wienerte und den Garten in Ordnung hielt.
    Er erhob sich von seiner Schlafmatte und schob den Vorhang am Fenster ein wenig zur Seite.
    Vor seiner Tür stand King mit einer jungen Frau. Sie sah aus wie viele der weiblichen Gäste, hatte langes, mit einem Tuch zusammengebundenes Haar, trug eine weite Pluderhose, die im Wind flatterte, und eine wallende Bluse. Aber sie war noch sehr jung und hatte einen Schal um ihre Schultern drapiert.
    King hatte noch nie jemanden zu Homans Haus gebracht, und als Homan den Vorhang losließ, erinnerte er sich an die Leute, die letzte Woche nach Ende ihres Kurses länger geblieben waren. Sie hatten auf die Lichterketten gezeigt und lange mit King und Queen im Büro geredet. Möglicherweise hatte sich King nun doch dazu entschlossen, noch jemanden einzustellen – die Schal-Lady. Homan fragte sich, ob sie bald neben ihm liegen würde wie damals Weißer Schmetterling, bevor ihre Freunde aufgetaucht waren und sie weggeholt hatten, oder nach ihr die Frau mit den dunkelroten Haaren. Es war sehr lange her, seit er zum letzten Mal eine Frau bei sich gehabt oder mit jemandem zusammengearbeitet hatte. Seit Ewigkeiten hatte er nicht mehr an solche Dinge gedacht.
    Verwirrt öffnete er die Tür.
    Die Schal-Lady strahlte ihn an. Erst als Homan auch seine Rechte ausstreckte, erkannte er, dass etwas nicht stimmte. Die Schal-Lady hatte ihre Hand am Ellbogen.
    Er erstarrte mitten in der Bewegung und wartete, bis sie ihm die Hand gab.
    King machte eine Geste, als würde er ein Auto lenken – das war sein Zeichen für eine Fahrt in die Stadt. Er zog die Augenbrauen hoch, als wollte er Homan fragen: »Ist dir das recht? Kommst du mit?«
    Homan war nicht sicher. Es war lange her, seit eine Frau sein Bett geteilt hatte, noch länger hatte er keinenMenschen mit Behinderung mehr gesehen. Er beäugte die Schal-Lady. Nach Jahren dachte er wieder an den Knast. Der King deutete auf sein Auto. Queen kam aus dem Haupthaus und ging über den Hof zu dem Wagen. Durch die offene Verandatür sah er den Raum mit dem Bambusboden, wo die Lehrerin die Gäste durch die Übungen führte. Was konnte so wichtig sein, dass er sie jetzt gleich in die Stadt begleiten musste? Noch dazu mit der Schal-Lady? Homan warf einen Blick zurück in sein Haus. Er könnte einfach hineingehen, die Tür zumachen und sich noch eine Prickel-Zigarette anzünden. Aber er tat es nicht, sondern nahm die erwartungsvollen Gesichter zur Kenntnis.
    Seit vielen Jahren waren King und Queen sehr gut zu ihm.
    Unsicher kam er der Aufforderung nach.
    Er kannte den Weg in die Stadt. Ein paar Mal im Jahr nahmen King und Queen ihn mit, wenn sie seine Hilfe beim Aufladen von Vorräten brauchten. Einmal hatte er sich auf den Fahrersitz gesetzt und an den Spaß gedacht, den er mit Sam gehabt hatte, als sie während des Fahrens Kaugummiblasen machten und Sam ihn mit seinem Stock anstieß, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen … Aber King hatte ihn mit einem Lächeln zurechtgewiesen, das ausdrückte: »Netter Versuch.« Homan hatte entschieden, dass es ohnehin schöner war, in seinem Prickelrausch gefahren zu werden. Also war er Beifahrer bei den Ausflügen in die Stadt, und jedes Mal, wenn sie aus den Bergen kamen, entdeckte er, wie rasch sich die Welt wandelte: mehr Häuser, mehr Geschäfte, mehr Fahrspuren, mehr Autos auf den Straßen. Je näher sie der Stadt kamen, umso mehr Veränderungen fielen ihm auf. Er sah neue Restaurants, viele von ihnen mit golden angestrichenenTürbögen,

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