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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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mir leid, Grammy«, sagte sie.
    Martha betrachtete Julias Gesicht in dem blauen Licht – das Kind sah schon richtig erwachsen aus. »Entschuldigst du dich für das, was du getan hast?«
    »Es war dumm.«
    »Freut mich, dass du das einsiehst.«
    »Dabei schmeckt mir Wein nicht einmal. Aber wenn ich ihn nicht getrunken hätte, als er mir angeboten wurde, hätte ich dagestanden wie eine Verliererin.«
    »Julia, du weißt, dass du keine Verliererin bist.«
    »Und dann sind wir in die Mall gegangen. Alle haben sich über meine blöde alte Hose lustig gemacht, und Miranda hat gewettet, dass ich nicht genügend Mumm hätte, eine schicke Jeans zu klauen. Also ging ich ins Filene’s und …« Julia blies sich die Locken aus der Stirn.
    »O Julia, du hattest früher so nette Freundinnen.«
    »Aber Miranda und ihre Clique sind die Schulprinzessinnen. Wenn sie jemanden für cool halten, dann finden ihn alle anderen auch cool. Und ich hab mich so gut gefühlt, als sie mich in ihren Kreis aufgenommen haben.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du dich vorher so schlecht gefühlt hast.«
    »Du verstehst das nicht, Grammy. Sie sind die coolen Mädchen. Jeder will wie sie sein. Irgendwann habe ich – «, sie wandte den Blick ab, als müsste sie sich das Ereignis erst ins Gedächtnis rufen, » – dieses Päckchen mit vier Lipglosses in den angesagten Farben gekauft und mit in die Schule genommen. Nach dem Basketballtraining bin ich in den Waschraum gegangen, in dem sie sich jeden Morgen treffen, und als Miranda hereinkam, hab ich Lipgloss aufgelegt. Ich fürchtete schon, sie würde mich ignorieren wie immer, aber sie hat mich gefragt, ob sie auch eines ausprobieren darf«, fügte Julia mit einem Seufzer hinzu. »Bis dahin hat sie nie auch nur ein Wortmit mir gewechselt. Und dann kamen Diane und Patti dazu und sagten, dass meine Lippen richtig hübsch aussähen. Ich kam mir toll vor. Und als wir alle gemeinsam den Waschraum verließen, hatte ich das Gefühl, als würden mich alle mit neuen Augen sehen. Es war super. Verstehst du das nicht, Grammy? Das war etwas ganz Neues für mich. Ich bin mir immer tollpatschig, hässlich und arm vorgekommen. Als wäre ich zurückgeblieben oder so was.«
    Martha hielt die Luft an. Am liebsten hätte sie Julia gepackt und geschüttelt, bis ihr bewusst war, was sie gerade von sich gegeben hatte.
    Stattdessen atmete sie tief durch, um ihren Ärger zu überwinden, und nach dem fünften Ausatmen hörte sie sich selbst sagen: »Ich bin enttäuscht von dir, Julia. Freunde, die dir das Gefühl geben, minderwertig zu sein, sind keine Freunde.«
    Julia sagte nichts; Tränen rollten ihr über die Wangen.
    »Deine Zukunft ist zu kostbar – du darfst sie nicht für irgendjemand anderen wegwerfen.«
    Julia schwieg immer noch und richtete den Blick an die Decke, als müsste sie neue Kräfte sammeln.
    »Ab heute werden wir dich jeden Tag in die Schule bringen und wieder abholen. Du musst deine Noten verbessern. Es gibt kein Basketball und keinen Theaterclub mehr für dich. Du hast Hausarrest und darfst nur weg, wenn du Unterricht hast. Keine zusätzlichen Aktivitäten, es sei denn, du nimmst einen Job an. Hast du das verstanden?«
    Julia schaute Martha direkt an. »Wie kommt es, dass du niemals über meine Eltern sprichst? Waren sie schlecht oder irgendwie gestört?«
    Martha lehnte sich an die Wand. Ihre Brust hob und senkte sich, und in der darauffolgenden Stille sah sie Juliain die Augen, und was sie hinter all dem Trotz, der Selbstverachtung und den Auswirkungen des Weins sah, war Lynnie. In diesem Moment war Martha klarer als je zuvor, warum sie Julia nichts über ihre Herkunft sagen durfte. Es ging nicht nur darum, dass sich Martha scheute, Julia einen Lektion zu erteilen, oder dass es ihr widerstrebte, Dankbarkeit für die Opfer, die sie für Julia gebracht hatte, einzufordern. Nein, ausschlaggebend war, dass die geringe Selbstachtung Julia dazu verleitet hatte, falsche Freundschaften zu schließen, gegen die Gesetze zu verstoßen und selbstgerechte Urteile zu fällen. Vielleicht war sie eines Tages bereit für die Wahrheit, aber bestimmt nicht, solange sie so geringschätzig über Menschen wie ihre Eltern sprach.
    »Nein, Julia. Sie waren nicht schlecht. Ganz und gar nicht.«
    »Wer waren sie. Wie hießen sie?«
    Martha holte tief Luft. »Lynnie. Der Name deiner Mutter war Lynnie.«
    »Und mein Vater?«
    Martha drehte sich weg – sie sah ihn vor sich. »Er war ein sehr stattlicher, gut aussehender Mann. Und

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