Die Geschichte von Liebe und Sex
zum modernen Menschen führte – in Afrika, genauer in den Steppen Ostafrikas. Dort zwangen Klimaveränderungen die damaligen Bewohner dazu, die sterbenden Wälder zu verlassen und sich auf zwei Beinen zu bewegen, um in der weiten Savanne aufgerichtet Ausschau halten zu können. Dadurch wurden die Hände frei für andere Aufgaben und immer geschickter im Gebrauch von Werkzeugen. Zunehmende Überlegenheit konnten zudem diejenigen gewinnen, die sich zum Beispiel beim Jagen über größere Entfernungen durch differenzierte Laute verständigen oder später gar anderen von Erfolgen und Misserfolgen berichten konnten. So entstanden vermutlich erste Sprachen.
Aus dem Homo habilis (»der Werkzeuge gebraucht«) entwickelte sich über einen Zeitraum von Hunderttausenden von Jahren der Homo erectus (»der aufrecht geht«) und schließlich vor rund 200 000 Jahren der Homo sapiens (»der seinen Verstand gebraucht«). Die ältesten Skelette von Urmenschen wurden in Ostafrika gefunden. Nach diesen Entdeckungen kam die These auf, dass der moderne Mensch aus Afrika stammt, eine Theorie, die später durch die Genforschung erhärtet wurde (siehe auch Kapitel »Julama und Jirma«).
Nach wie vor gehören schockartige Umweltveränderungen, wie Erdbeben und Vulkanausbrüche, oder langfristige Umschwünge, wie etwa Klimaveränderungen, zu den großen Herausforderungen im Leben und Überleben der Menschen. Erst in jüngster Zeit ist eine neue Bedrohung hinzugekommen. Seit weniger als 100 Jahren hat der Mensch die Fähigkeit, nicht nur das globale Klima zu verändern, sondern durch sogenannte atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen ganze |28| Länder oder gar den gesamten Planeten für Menschen unbewohnbar zu machen. Diese Entwicklung ist noch so neu und gleichermaßen beängstigend, dass viele Menschen bis hinauf in höchste Regierungskreise solche Zusammenhänge nicht erkennen können oder wollen. Der deutsch-österreichische Philosoph Günther Anders (1902 – 92) prägte hierfür sinngemäß bereits 1956 den Satz: Die Menschen können inzwischen Gefahren herstellen, die sie sich nicht mehr wirklich vorstellen können. *
Es könnte sein, dass erstmals die genetische Anpassung durch Sex nicht mehr ausreicht, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Vielleicht wird zum ersten Mal die Liebe (und die Verantwortung gegenüber anderen Menschen) zur Voraussetzung werden, damit die Menschheit langfristig überleben kann.
Wie gehen Menschen, die durch eine jahrtausendelange Anpassung daran gewöhnt sind, unter extrem schwierigen klimatischen Bedingungen zu leben, mit Liebe und Sex um? Der Bericht eines Jungen, der im ewigen Eis aufgewachsen ist.
Nanuk Y., 14 Jahre, berichtet 1977 in Kopenhagen **
»Mein Name bedeutet Eisbär. Ich bin jetzt nur zu Besuch in Kopenhagen, aber darüber gleich mehr. Zuerst will ich dir erzählen, warum meine Eltern mich als Mädchen erzogen haben und nicht als Jungen.
In unserer Familie gab es viel mehr Brüder als Schwestern. Ich war das sechste Kind und es hatte bis dahin nur meine ein Jahr ältere Schwester Malina gegeben. So entschieden meine Eltern gemeinsam, dass ich als Mädchen erzogen werden sollte. Ganz klar – in jeder Gemeinschaft brauchst du Frauen und Männer oder sagen wir mal: Es müssen bestimmte Aufgaben gemacht werden. Auch bei uns jagen die Männer im Prinzip und die Frauen sorgen für die Kinder und das Kochen und den Haushalt.
|29| Es kommt immer wieder vor, dass es wie bei unserer Familie entweder zu viele Mädchen oder zu viele Jungen gibt: Aber nicht alle können jagen gehen und nicht alle können sich nur um die Kinder kümmern. Zu beidem braucht man jedoch Erfahrung. Man muss es sorgfältig und von klein auf lernen. Ich weiß, wie man ein Baby versorgt, ich weiß, wie man es füttert und wie man gesundes Essen kocht, wenn die Jäger hungrig nach Hause kommen. Deshalb bin ich nicht weniger ein Junge als andere in meinem Alter. Ich trainiere meine Muskeln, um stark zu werden und nachts – darf ich das so sagen? – träume ich von Mädchen, die sich für mich am Feuer ausziehen. Ich werde einmal heiraten, vermutlich eine Frau, die das Jagen gelernt hat, weil ich darin natürlich jetzt nicht so gut bin.
Ich vermisse meine Familie in K., unsere Siedlung im Norden von Kalaallit Nunaat, sehr. Ich bin nur nach Kopenhagen gekommen, um meinen Vater zu begleiten, der hier zu einer speziellen Operation im Krankenhaus aufgenommen wurde. Ich will hier weg. Sobald er
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