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Die Geschichte von Liebe und Sex

Titel: Die Geschichte von Liebe und Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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übrigens, der in vielen anderen Schöpfungsmythen in der Geschichte immer wieder auftaucht: Der erste Mensch ist ein zweigeschlechtliches Wesen, weder Mann noch Frau oder auch beides zur gleichen Zeit. In jedem Fall hat er noch keine Seele, denn die wurde ihm erst später eingeblasen, als er von Gott in den Garten Eden, das Paradies, gesetzt wurde.
    Eine weitere interessante Variante ist die Geschichte von Lilith, die auf babylonische Überlieferungen rund 2 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückgeht. In der Bibel hat sie einen kurzen Auftritt als Dämonin (Jesaja 34,14), doch ihre eigentliche Rolle wird erst in der jüdischen Mythologie deutlich: Demnach schuf Gott Lilith (hebräisch für: die Nächtliche) noch vor Eva als Gefährtin für Adam, und zwar genau wie diesen aus Erde. Sie wird als schön, stark und klug beschrieben und vor allem kompromisslos in ihrer Forderung nach Gleichberechtigung. Es kommt zum Streit, als sie sich weigert, beim Geschlechtsverkehr als Frau immer unten zu liegen. Sie verlässt Adam und das Paradies und selbst Engel können sie nicht zur Umkehr bewegen. In den Texten, die männliche Schriftgelehrte etwa 900 Jahre vor unserer Zeitrechnung aufschrieben, wird sie als böse Dämonin geschildert, die Männer krank macht und Neugeborenen das Kindbettfieber bringt. Für Feministinnen gilt sie dagegen bis heute als erste Frauenrechtlerin, weswegen sich manche auch gern als »Töchter Liliths« bezeichnen.
    Um alle Missverständnisse über das Geschlecht des ersten Menschen zu vermeiden, wurde schließlich die Geschichte von der »Schöpfung des Weibes« |36| niedergeschrieben, das aus einer Rippe des ersten Menschen kleiner als er geschaffen wurde, um ihn nicht einsam bleiben zu lassen. Beide hatten noch keinen Namen, weder Mann und Frau noch Adam und Eva, sondern hießen nur »der Mensch und sein Weib«: »Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.« (1. Mose 2,25) Der Name Eva ist im Hebräischen zunächst ohne Geschlecht und bedeutet »das Leben«.
    Die Scham kam erst später – mit der Vertreibung aus dem Paradies. Denn »der Mann und die Männin« (1. Mose 2,23) hatten eine Regel für ihr Leben im Garten Eden mitbekommen: Auf keinen Fall sollten sie Früchte vom »Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen« essen. Es ist bekannt, dass sie es trotzdem taten, angeblich verführte zuerst eine Schlange die Eva, dann Eva den Adam. Aber das sind Details. Scham kann man nur fühlen und eine Sünde begehen, wenn man gut und böse unterscheiden kann und nicht mehr unschuldig wie die meisten Tiere und neugeborenen Kinder allein den Instinkten folgt.
    Bei den Juden und Christen ist aus diesem Vergehen die »Erbsünde« geworden. Der Mensch hat für immer seine Unschuld verloren. Nacktsein wurde als das Schrecklichste überhaupt angesehen und Sex, einer der stärksten Triebe des Menschen, wurde für Jahrhunderte zur schlimmsten aller Sünden erklärt, wenn er nicht ausschließlich dem Auftrag diente, den Gott allen Pflanzen, Tieren und Menschen gleichermaßen gegeben hatte: »Seid fruchtbar und mehret euch …« (1. Mose 1,28)
    Was wenige Nicht-Muslime wissen: Im Islam gibt es keine Erbsünde. Muslime glauben nicht, dass Adam und Eva eine Sünde begangen haben. Sie haben einen Fehler gemacht und eine Regel verletzt. Das heißt zuerst, dass sie nicht vollkommen sind. Kein Mensch ist im Islam vollkommen oder kann im Namen des einzigen Gottes sprechen. Darum gibt es auch keinen Papst im Islam. Jeder kann sich in seinem Leben nur nach Kräften darum bemühen, ein guter Mensch zu sein, und anderen verzeihen, die sich ebenso irren oder fehlbar sein können wie man selbst.
    Was ist seit Adam und Eva aus diesen Ideen geworden? Aus dem Auftrag, Frieden zu halten, Nächstenliebe zu praktizieren, für die Armen zu sorgen und anderen Menschen ihre Fehler zu vergeben? Was ist aus der Idee der Liebe im Paradies geworden, wo Frau und Mann nackt sein konnten, ohne sich schämen zu müssen? Wo sie zuerst füreinander da waren, um die Einsamkeit |37| des ersten Menschen zu lindern? Wo die Anziehung zueinander so stark ist, dass »sie werden ein Fleisch« (1. Mose 1,24)?
    Giovanni I., 16 Jahre, in Dortmund geboren, über seinen Großvater *
    Giovannis Eltern sind in Deutschland aufgewachsen, aber der Großvater, dessen Vornamen der Junge trägt, stammt aus der norditalienischen Stadt Mailand. Auf der Suche nach Arbeit verließ er seine Heimat Italien im Alter von 20 Jahren.

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