Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
obwohl die Stadtbetriebe aufgegeben hatten. Kanalisation und Wasserversorgung waren zusammengebrochen und vom Strom war das Viertel schon lange abgeschnitten.
Dafür hatte die Gegend einen Ruf als Sündenpfuhl erworben, und Freier mittleren Alters aus den feineren Gegenden auf höherem Grund wagten sich gern hinab in die Schwimmende Welt, um hin und wieder etwas Bohème zu schnuppern und in Miniwassertaxis mit knatternden kleinen Solarmotoren durch die überschwemmten Straßen zu flitzen. Sie kamen wegen des Glücksspiels, der illegalen Substanzen und der Mädchen, aber auch wegen der Echtzeit-Varietéshows, die von einem zerfallenen Haus zum nächsten zogen, wenn die Räumlichkeit mit Wasser volllief oder ein heftiger Sturm noch mehr vom Ufer und den Immobilien wegfegte.
In der Schwimmenden Welt war das Angebot groß; und es lohnte sich, da keiner der Veranstalter Miete oder Steuern zahlen musste. Tag und Nacht waren Würfelspiele im Gange, mit einer rotierenden Zahl übernächtigter Zocker, die vom Onlinespiel genug hatten und nach dem suchterzeugenden Nervenkitzel der potenziellen Gefahr lechzten. Außerdem wollten sie sich unbeobachtet fühlen: Für sie war das Internet so voll mit Gucklöchern wie ein Giga-GliederZug-Motel, und sie wollten nichts ihrer virtuellen DNA dort hinterlassen.
Es gab einen Puff mit einer Mischung aus echten Mädchen und Prostibots, je nachdem, wie viel vorprogrammierte Interaktion gewünscht war – nicht, dass der Unterschied immer klar gewesen wäre. Es gab Straßenakrobaten, die Hochseilnummern mit Fackeln über den schwimmenden Straßen aufführten, hin und wieder stürzten und sich irgendetwas brachen, zum Beispiel das Genick. Die Möglichkeit, Verletzte oder Tote zu sehen, war außerordentlich reizvoll: Während die Onlinewelt immer stärker bearbeitet und aufgehübscht wurde und während ihre vermeintliche Realität in den Köpfen der Nutzer Fragen der Echtheit aufwarf, übte die raue, ungeschliffene, körperliche Welt eine zunehmend mystische Anziehungskraft aus.
Unter den Varietékünstlern gab es einen Magier, einen Mann um die fünfzig mit traurigem Blick und ausgebeultem Anzug, den er aus der Kleidersammlung geklaut haben musste: Seine Show hatte eine eher geringe Bandbreite. Auf dem rasch schimmelnden Zwischengeschoss eines ehemaligen Fünfsternehotels baute er seine improvisierte Bühne auf, wo er Karten-, Münz- und Taschentüchertricks aufführte, Frauen zersägte und aus Schränken verschwinden ließ und Gedanken las. Solche Späße waren aus der Fernseh- und Onlinekultur verschwunden, denn künstlerische Darstellungen dieser Art waren in der digitalen Welt nicht greifbar und galten daher als unglaubwürdig: könnte ja auch alles getrickst sein. Doch als der Schwimmende-Welt-Magier sich eine Handvoll Nadeln in den Mund steckte, konnte man sehen, dass es echte Nadeln waren, und als er sie an einem Faden wieder aus dem Mund zog, konnte man den Faden anfassen; und als er ein Kartenspiel in die Luft warf und nur das As liegen blieb, konnte man es mit eigenen Augen bezeugen.
Freitags- und samstagabends lief die Show des Schwimmende-Welt-Magiers und das Zwischengeschoss war gerammelt voll. Er nannte sich Slaight der Zweite, nach Allan Slaight, einem Historiker der hermetischen Künste. Wobei das wahrscheinlich die wenigsten im Publikum wussten.
Zeb aber schon, denn bei Slaight dem Zweiten fand er Arbeit. Er spielte Lothar, den muskelbepackten Assistenten, und trug ein peinliches Outfit aus Leopardenfellimitat. Er wuchtete den Schrank durch die Gegend und drehte ihn auf den Kopf, um zu zeigen, dass er leer war, oder er legte die schöne junge Assistentin in die Kiste, in der sie zersägt werden wollte. Manchmal mischte er sich unters Publikum, um für die Gedankenlesenummer Informationen zu sammeln oder um lautstark zu staunen und so die Leute abzulenken. Tagsüber wurde er auf Botengänge jenseits der Schwimmenden Welt geschickt, wo es Minimärkte gab und Leute, die bei helllichtem Tage wach waren.
»Von Slaight dem Zweiten hab ich viel gelernt«, sagt Zeb.
»Wie man Frauen zersägt?«
»Das auch, aber das kann jeder. Der Trick besteht darin, die Frau dabei zum Lächeln zu bringen.«
»Man braucht wahrscheinlich Spiegel«, sagt Toby. »Und Nebel.«
»Ich bin zur Geheimhaltung verpflichtet. Das Beste, was der alte Slaight mir beigebracht hat, war die Kunst der Irreführung. Lenkt man den Blick der Leute auf was anderes und weg von dem, was man eigentlich macht,
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