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Die Geschichte von Zoe und Will

Die Geschichte von Zoe und Will

Titel: Die Geschichte von Zoe und Will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Halbrook
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setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl, stopfte sich die Pommes in die Tasche, wischte sich die Hände an seiner Jeans ab und starrte mich an. Schon wieder. Ich kämpfte gegen meine Verlegenheit an, hätte mir am liebsten den Pony in die Länge gezogen, über meine Augen, über mein ganzes Gesicht.
    »Sie lassen dich hier wohl nicht Holz abschleifen?«, fragte ich ihn.
    »Du denkst wohl, ich hab wie alle Loser Werken als Nebenfach? Du hältst mich für die Art Typ, hä? Ich hab kein Werken.«
    »Ja, ich halte dich für die Art Typ.«
    »Nicht seit ich letztes Jahr Riley Mercado den Finger abgesägt habe.«
    Mir fällt der Stift aus der Hand. »Wem?«
    »War in ‘ner anderen Schule. Ein Unfall.«
    Ich klemme mir das Haar hinters Ohr und zwinge mich, über Chemie nachzudenken, damit ich nicht schon wieder erröte. Wenn ein im Gleichgewicht befindliches chemisches System eine Veränderung der Dichte, der Temperatur, des Volumens oder Partialdrucks erfährt, dann verschiebt sich das Gleichgewicht, um der auferlegten Veränderung entgegenzuwirken, und ein neues entsteht. »Ich habe eine Menge Hausaufgaben zu erledigen. Und hier drinnen dürfen wir nicht reden.« Aber ich wollte nicht, dass er geht, und gleichzeitig wollte ich nicht, dass er dort sitzen bleibt. Ich war sauer auf ihn. Ich wollte in seiner Nähe sein. Mein Gleichgewicht geriet ins Wanken, als ich versuchte, diese unerwartete Störung zu verschieben, zu neutralisieren, zu stabilisieren.
    Die Verwirrung verknotete mir den Magen wie eine Brezel. Solche Gefühle hat bisher noch niemand in mir ausgelöst.
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Hast du AP-Chemie belegt?«
    »Du hast AP-Chemie? Mann! Bist du schon in der zehnten?«
    »Es ist ein Wahlfach.«
    »Du hast das also nehmen wollen ? Statt Töpfern oder sonst einem lustigen Scheiß?«
    »Ich mag alles, was mit Wissenschaft zu tun hat. Und ich mag es nicht, wenn man flucht.«
    Er zuckte mit den Schultern. Unterdrückte ein Lächeln. »Okay. Ich versuch’s mal. So schwer kann das ja nicht sein.« Er drehte mein Buch zu sich und betrachtete die Gleichungen auf der aufgeschlagenen Seite. Ich beobachtete seine Augen, die sich beim Lesen hin und her bewegten, und seine Lippen, während er die wichtigen Worte mit dem Mund formte. Seine Lippen waren perfekt. Ich bemerkte nicht, als er mit Lesen aufhörte.
    »Ich denke dasselbe«, sagte er.
    Ich riss meinen Blick von ihm los, doch eine heiße Röte kroch mir in die Wangen.
    »Was?«
    »Ich will dich auch gerne küssen.«
    »Ich nicht, ich …« Empörung mischte sich wie brodelnder Schlamm unter meine Verlegenheit, ich krallte mich an meinem Buch fest und knallte den Deckel zu, wobei ich mir den Finger einquetschte. Ich zuckte zurück, von dem Schmerz und dem Grinsen, das ich nicht ansehen wollte. Mein Stift rollte vom Tisch, aber ich ließ ihn in meiner Hast, von hier zu verschwinden, einfach liegen.
    Die gesamte folgende Woche suchte er in der Mittagspause nicht nach mir, aber ich sah ihn auf dem Gang, und jedes Mal zwirbelte er meinen Stift zwischen den Fingern.
    Dann ist er in eine Schlägerei geraten, und die Leute an meiner Schule haben mit einem Mal realisiert, dass ich existierte.
    »Kennst du diesen neuen Typen? Will Torres? Er soll Hank Prosser grün und blau geschlagen haben. Hat ihn mitten in der Cafeteria vermöbelt«, erzählte mir Lindsay. »Man tuschelt, dass Hank etwas zu ihm gesagt hat, und der Neue hat ihm einfach einen Kinnhaken verpasst, doch niemand weiß genau, was er gesagt hat. Hank ist, nun ja, dreißig Zentimeter größer als er und viel schwerer. Aber er ist schon beim ersten Schlag zu Boden gegangen.«
    Die Leute auf den Gängen beobachteten mich und Lin, während wir zu unseren Kursen gingen. Ich habe misstrauisch zurückgestarrt, mich gefragt, was sie wohl dachten. Ihre Blicke waren so voller Neugierde, es war, als sähen sie mich zum ersten Mal. Mich und die Blutergüsse, während sie sich wunderten, wo ich mich die ganze Zeit über versteckt hatte. Es war schrecklich, so angesehen, so eindringlich gemustert zu werden. Ich wollte ihnen zuschreien, dass sie wegschauen sollten; nein, ich wollte keinerlei Geräusch machen.
    »Er ist noch nicht einmal sonderlich lange hier«, habe ich Lindsay zugeflüstert.
    »Ich weiß«, sagte sie mit einem Nicken. »Wenn er nicht aufpasst, wird man ihn in ein anderes Heim verfrachten.«
    »Was hat Hank gesagt?«
    Sie schürzte die Lippen, dann öffnete sie den Mund mit einem lauten Schmatzer. »Nun, die

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