Die Geschichte von Zoe und Will
»Egal was ich tue, sie ist da, diese … Wut oder … irgendwas … Sie ist in meinem Blut und verbrennt es … Sie verbrennt mein Blut, weil sie das lustig findet. Ich kann einfach …« Ich beiße die Zähne zusammen, schüttle den Kopf, denn dieser Scheiß ist nicht okay. »Und ich werde wütender und wütender und dann … muss ich etwas dagegen tun.«
»Du kannst nicht jeden verprügeln und denken, dass es das besser machen würde.«
»Das weiß ich! Aber es fühlt sich gut an … einfach nicht mehr gegen diese Wut anzukämpfen, ihr die Kontrolle zu überlassen. Als ob … Ich muss dann einfach an nichts mehr denken oder entscheiden oder zurückhalten oder so.« Zoe dreht sich mit ihrem sanften Gesichtsausdruck zu mir um, und es ist Mitleid, ich weiß, dass es Mitleid ist, aber es kümmert mich nicht. Sie ist hier, und es wird besser werden. »Jeder glaubt, ich bin hart, weil ich mich prügle. Es ist ein Teil von mir wie eine Krankheit, und es ist leichter, es einfach die Kontrolle übernehmen zu lassen als es zu bekämpfen. Das ist mein Kampf, für den ich zu schwach bin, um ihn zu gewinnen. Verstehst du?«
Zoe berührt mich nicht mal, und trotzdem habe ich das Gefühl, als würde sie mich wie eine Decke umgeben. Ich brauche diese Wut nicht, ich brauche nur Zoe, aber gehen lassen kann ich beide nicht, obwohl sie das genaue Gegenteil voneinander sind. Hätte ich sie in mir, wie ich den Zorn in mir habe, könnte ich ihn bekämpfen, das weiß ich.
»Es kommt mir vor, als wäre ich schon ewig wütend.«
Sie nimmt meine Hand.
»Ich gehe nirgendwo hin. Nicht ohne dich.«
»Weißt du, wer sich schon mal so um mich gekümmert hat? Ich meine, so wie du?« Ich vergrabe mein Gesicht an ihrer Schulter, damit sie nicht sieht, wie sehr ich mich schäme. »Niemand. Und hier bist du, und ich vermassle es. Verdammt, wie kann es sein, dass ich’s vermassle?«
»Du vermasselst überhaupt nichts. Und es stört mich nicht, wenn du weinst. Ich denke dann nicht schlechter von dir.« Sie kommt näher. Beobachtet mich. »Wir dürfen uns voreinander nicht verstecken.«
»Nein. Ich …«
Sie wartet, aber das ist alles, was ich für sie habe.
Dann sagt sie: »Wir schaffen das.«
Ich nicke. »Ja.«
ZOE
ER FAND MICH BEIM Mittagessen. Am sechsten Tag nach den Weihnachtsferien, dem ersten Tag von Will. Ich hatte mich versteckt, um eine Runde Brain Bowl zu spielen, und er hat mich gefunden, ist einfach mit seiner Gang aus Heimkindern hereinspaziert und hat zugesehen. Will erzählte Mr. Hart, dass er in Erwägung zöge, sich uns anzuschließen, weshalb der Lehrer ihn nicht fortschickte.
All die anderen Streber waren nervös, eingeschüchtert von den Heimkindern. Als würde es sie automatisch zu schlechten Menschen machen, keine Eltern zu haben. Als hätten Will & Co. vor, sie nach dem Mittagessen zu verprügeln, nur weil sie schlau sind. Aber ich nicht.
Mich stachelte es an. Ich wollte diesem neuen Typen, der mich wegen meines blauen Flecks angesprochen hatte, zeigen, dass ich mehr als nur ein Boxsack war. Und so beantwortete ich für jede Pommes, die er aß, eine Frage richtig. Er hat mich die ganze Zeit über angestarrt, selbst als seine Freunde mit ihm redeten.
Als wir beide erkannten, dass es ein Spiel war, entlockte es uns ein verstohlenes Lächeln, und ich musste mir ein Lachen verkneifen, um dem Lehrer sagen zu können, dass Bratislava die Hauptstadt der Slowakei ist.
»Du bist klug«, sagte Will, der beim Gongschlag auf mich wartete. »Ich bin nicht so klug.«
Ich lächelte und sagte nichts, denn in meiner Zunge war ein Knoten, und mein Herz wollte aus meiner Brust springen unter seinem Blick. Ich wusste, dass ich errötete, und ich hasste das. Er war so süß, in einer vernarbten Teddybär-Art-und-Weise. Selbst ich habe das gesehen, und ich hatte panische Angst, andere Menschen zu lesen, aus Sorge, sie könnten mich im Gegenzug ebenfalls lesen.
»Wenn du so klug bist, warum lässt du dich dann von anderen Leuten vermöbeln? Deinem Dad? Der ist das doch, oder?«
Mein Lächeln erstarrte, und mein Inneres gefror, aber mein Gesicht glühte vor Hitze. Ich hastete schnell weg, taumelte um die erste Ecke, die kam, damit ich aus seinem Blickfeld verschwand.
Er fand mich auch am nächsten Tag während der Mittagspause, in der Bücherei. Ich machte meine Chemie-Hausaufgabe, und er hat Pommes gegessen, als er hereinkam, obwohl es eigentlich nicht erlaubt war, Essen in die Bibliothek mitzunehmen. Diesmal war er allein. Er
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