Die geschützten Männer
Doc?«
»Im Prinzip steht dem nichts im Wege.«
»Eier von einem Gringo!« sagt Ricardo verächtlich. »Und was soll ich damit?«
»Du kleiner Tölpel«, sagt Bess und gibt ihm einen leichten Klaps auf die Wange. »Der Doc ist auch ein Gringo.«
»Der Doc ist kein Gringo: er heißt Martinelli«, sagt Ricardo, während er mir unter Tränen kindlich und charmant wie mit geheimem
Einverständnis zulächelt.
»Los, trink«, sagt Bess, während sie Ricardo das Glas an die Lippen führt.
Er trinkt. Er trinkt in kleinen Schlucken gierig und in einem Zug, als ob er aus der Flasche saugte. Als das Glas leer ist
und kaum daß Bess es auf den Tisch zurückgestellt hat, schließt er die Augen und schläft wie ein Säugling auf der Stelle ein.
»Da haben wir’s!« sagt sie. »Jetzt kann ich mich auf dem Rückweg auch noch ans Steuer setzen! Das soll ein Chauffeur sein«,
fährt sie fort und richtet die Schulter auf, an der Ricardos Kopf bewegungslos ruht.
»Nächste Woche brauchst du nicht auf mich zu warten, Doc, ich komme nicht!« sagt sie dann. »Und die Woche drauf, weißt du,
wann ich da antanze? Sonntag! Nicht zu fassen! Ich hab’s auf meiner Anweisung gelesen, schwarz auf weiß! Die lassen mich sonntags
arbeiten! Am Tag des Herrn! Eine Schande! Auch wenn es jetzt die Wissenschaft ist! Aber trotzdem! Wissenschaft hin, Wissenschaft
her, du kannst mir nichts weismachen, ein bißchen Sünde ist beim Sex immer dabei! Und sonntags |273| gab’s das bei mir nie! Nein, ich bete nicht, ich schlafe! Das ist meine Art, den Sabbat einzuhalten!«
Daraufhin trinkt sie, stellt das Glas vorsichtig hin und betrachtet über ihre Schulter Ricardos Kopf.
»Das ist ’ne Last, dieser kleine Kerl«, sagt sie ohne Bitterkeit. »Ein Ballast, den ich schleppe. Mit seinen Tränen macht
er mich fix und fertig, und meistens muß ich seinen Job mit übernehmen. Aber ich hätte niemals das Herz, ihn zu denunzieren.
Niemals. Er würde seine Stelle verlieren. Und was würde dann aus seiner Frau und seinen Gören in Puerto Rico werden? Abgesehen
davon, daß ich auch mit ihm selber Mitleid habe. Man muß das verstehen, Doc, was hat ein armer Mensch wie Ricardo, der wirklich
arm ist, was hat der schon vom Leben außer seinem Dingsda?«
Nach diesen Worten neigt sie ihr vulgäres, zu stark geschminktes Gesicht zur Seite und sieht Ricardo an. Sie sieht ihn mit
Nachsicht und Zärtlichkeit an, während sie ihm mit der Rechten leicht die Wange tätschelt.
[ Menü ]
|274| DREIZEHNTES KAPITEL
An diesem Morgen geht es bei mir im Labor auf Grund unserer Entscheidungen vom Vortag ziemlich hoch her, unauffällig allerdings.
Innerhalb des Labors haben wir sozusagen ein zweites Labor geschaffen, dessen Ergebnisse dem ersten verborgen bleiben müssen.
Ich bin jedenfalls sehr beschäftigt und in Sorge und kann mit Burage erst Viertel vor zwölf zusammenkommen. Ich sehe an den
Schatten unter ihren Augen, daß sie schlecht geschlafen hat, auch sie. Ich bitte sie, Platz zu nehmen.
»Wir haben wenig Zeit«, sage ich, auf meine Uhr blickend. »Fangen Sie an, Burage, ich bin auf das Schlimmste gefaßt.«
»Doktor, würde es Ihnen was ausmachen, sich hinzusetzen, anstatt hinter Ihrem Schreibtisch solche Unruhe zu verbreiten?«
»Wieso verbreite ich Unruhe?« frage ich trocken. »Sie sind ziemlich nervös.«
»Sie machen mich nervös. Ich bitte Sie, setzen Sie sich!«
»Das ist unglaublich«, sage ich scharf. »Ich sehe schon den Augenblick kommen, wo ich mich in meinem eigenen Arbeitszimmer
auf Befehl setzen oder erheben muß!«
»Doktor!« sagt Burage aufgebracht.
Wir sehen einander an und sind wegen dieses kindischen Verhaltens verwirrt. Das fängt ja gut an! Wenn es mit solch einem Auftakt
losgeht, wie soll es dann enden?
»Also gut«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln, »ich will meinen guten Willen beweisen.«
Ich setze mich, doch wie erwartet, honoriert sie mein Zugeständnis nicht! Statt dessen schweigt sie und blickt gereizt auf
meine Finger, mit denen ich auf den Tisch trommle. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen. Auf meinen Stuhl gelümmelt,
die Beine weit von mir gestreckt, sehe ich Burage mit zusammengepreßten Lippen an. Ich bin fest entschlossen zu schweigen.
|275| »Glauben Sie mir meine Aufgabe dadurch zu erleichtern?« fragt sie irritiert.
»Ich habe mich gesetzt. Ich trommle nicht mit den Fingern auf den Tisch. Ich höre Ihnen zu. Was wollen Sie mehr?«
»Daß Sie Ihre überhebliche
Weitere Kostenlose Bücher