Die geschützten Männer
Abschwächung nicht ausreichend oder die Dosis quantitativ zu stark war oder ob man dem Präparat nicht antiseptische
Mittel beigeben müßte. Für die Lösung, auf die wir uns einigen, gibt es keine festen Werte. Wir tappen tatsächlich im dunkeln
und entschließen uns, auf Nummer Sicher zu gehen, so alarmierend erschien uns Grabels heftige Reaktion. Wir wollen ein neues
Serum auf der Grundlage älterer Kulturen vorbereiten und an den Hunden gleichermaßen seine Unschädlichkeit und Wirksamkeit
erproben.
Im Verlauf unserer kleinen Besprechung beobachte ich Smith aufmerksamer, als ich es bisher getan hatte. Daß Grabel der Bewegung
des
Wir
angehörte, vermutete ich seit langem. Bei Pierce nahm ich an, daß er zwangsläufig unter dem Einfluß der starken Persönlichkeit
seiner Frau stand. Doch von Smith hätte ich niemals irgendeine Komplizenschaft mit einer Anti-Bedford-Bewegung erwartet. Diese
Komplizenschaft existiert jedoch, weil er sowohl über Grabels Impfung wie über seine gefälschte Identität im Bilde ist.
Eben das setzt mich in Erstaunen. Angefangen beim Namen, ist Smith ein perfekter Durchschnittstyp. Obgleich er vor nützlichen
Eigenschaften strotzt, ohne die keine Gesellschaft länger als acht Tage funktionieren könnte, ist er unscheinbar, schüchtern
und von einer Bedeutungslosigkeit, die sich in seinem Äußeren widerspiegelt. Er hat eins jener Gesichter, die man unweigerlich
vergißt, auch wenn man sie hundertmal gesehen |269| hat. Darüber hinaus gehört er zu den Junggesellen, die sich nach und nach in ihre Einsamkeit versponnen haben. Er spricht
kaum, lacht wenig, treibt keinerlei Sport und errötet, wenn Burage das Wort an ihn richtet. Burage behauptet, er habe nicht
geheiratet, weil er nie den Mut gefunden hat, einer Frau den Hof zu machen. Und das ist das Paradoxe. Plötzlich läßt er sich
auf die Gefahren eines illegalen Komplotts ein: er, der Alleinstehende, ist gewillt, dafür zu kämpfen, daß die Beziehung zwischen
Mann und Frau wieder möglich wird.
Nach Beendigung der Besprechung lasse ich Smith und Pierce gehen, halte aber Grabel zurück und sage zu ihm: »Danke. Sie haben
sich an meiner Stelle gefährdet.«
Er lächelt, und sein langes, strenges Gesicht hellt sich auf.
»Sie brauchen mir nicht zu danken. Wie Sie wissen, hatte das
Wir
mich ursprünglich mit dem Ziel angeworben, Sie hinauszudrängen.«
Ich nicke bejahend, obwohl mich dieses »Sie hinauszudrängen« in Erstaunen setzt. Ich wußte nicht, daß meine Kaltstellung so
konkret geplant gewesen war.
Grabel fährt zusammenfassend fort: »Als das
Wir
den Entschluß faßte, sich mit Ihnen zu verständigen, war es notwendig, daß auch ich mich nützlich mache.«
»Aber Sie waren im Labor doch sehr nützlich und sind es noch!«
»Nicht mehr als Smith oder Pierce«, sagt Grabel mit einer Bescheidenheit, die mir echt erscheint. Er fügt hinzu: »Auf jeden
Fall war ich dank der Tatsache, daß ich offiziell ein A war, nach Meinung des
Wir
geradezu prädestiniert, das Serum ohne Wissen Barrows zu testen.«
Ich sehe ihn fragend an.
»Prädestiniert? Das verstehe ich nicht.«
»Nun ja, wenn das Experiment schiefgegangen wäre, hätte man die Ursache meines Todes und folglich das Experiment selbst leichter
geheimhalten können. Niemand hätte einen A verdächtigt, das Serum gegen die Enzephalitis 16 erprobt zu haben.«
Mich verblüfft sowohl diese Verschlagenheit des
Wir
als auch der ruhige Mut von Grabel, der bereit war, »nützlich« zu sein, auch nach seinem Tode.
Das Schweigen zieht sich in die Länge, ich sehe Grabel an. |270| Ich würde ihm gern die Hand drücken, doch ich befürchte, eine zwischen uns so ungewohnte Geste könnte etwas Theatralisches
an sich haben. Schließlich klopfe ich ihm leicht auf die Schulter und sage: »Ich war sehr erleichtert, als Sie die Augen aufschlugen.«
»Und ich erst!« sagt er mit einem leisen Lachen.
Ich muß auch lachen. Nie hätte ich Grabel Humor zugetraut. Und während wir einander lachend ansehen, erfaßt uns beide eine
unerwartete Welle herzlicher Freundschaft.
Sobald Grabel gegangen ist, spüre ich die ganze Last meiner Müdigkeit und auch die Leere in meinem Magen und blicke auf die
Uhr. Es ist Zeit, in die Cafeteria zu gehen. Nach sieben gibt es nichts mehr zu essen. Ich verschließe mein Arbeitszimmer
und gehe bei Burage vorbei, um ihr meinen Schlüssel zu geben. Sie hat einen zweiten, doch besteht sie meiner Ansicht nach
zu
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