Die geschützten Männer
Recht darauf, abends beide Schlüssel in ihrem Gewahrsam zu haben. Sie verläßt das Labor immer als letzte, und bevor sie
geht, spannt sie einen Nylonfaden ins Schloß, um nachzuprüfen, ob meine Tür während meiner Abwesenheit nicht geöffnet worden
ist. Jeden Morgen öffnet sie dann um sieben Uhr den beiden Reinigungsfrauen die Tür und bleibt so lange, bis sie gegangen
sind.
»Guten Abend, Burage«, sage ich und lege den Schlüssel auf ihre Handfläche. »Fortsetzung morgen!«
»Bis morgen«, sagt sie verwirrt.
Ich nehme an, sie hatte all ihren Mut zusammengenommen, um mir heute die Entscheidungen des
Wir
betreffs meines Privatlebens mitzuteilen, und ist nun sehr enttäuscht, morgen noch einmal anfangen zu müssen.
Nachdem das karge Abendbrot beendet ist und Dave im Bett liegt, lausche ich, ob der Lieferwagen von Bess zu hören ist. Als
er vorfährt, stürze ich hinaus, um ihr nahezulegen, nicht soviel Krach zu machen. Die Mühe ist jedoch vergeblich. Von Diskretion
keine Spur.
Seltsam, wie in Blueville alles zur Routine wird. Nachdem Ricardo seinen Platz in der Küche vor einem Glas Bourbon eingenommen
hat, zucke ich nicht einmal mit der Wimper, als Bess mir verkündet – und sie sagt es mir jedesmal –, sie werde mir »eine Fahrkarte
erster Klasse in das Paradies kaufen«. Ich muß sagen, daß meine Vorstellung vom Paradies weniger intensiv |271| und nicht so kurz ist. Dennoch schätze ich die guten Momente des Lebens nicht gering, auch wenn sie noch so unbedeutend sind.
Dazu beglückwünscht mich Bess hinterher denn auch.
»Du bist wenigstens ein richtiger Mann«, sagt sie und lacht mich an mit ihrem gesunden, breiten, aufsehenerregenden Mund.
»Du machst keine Scherereien. Aber diese alte Krabbe! Sobald er mich sieht, zieht er eine Fresse! Als ob ich ihn beleidigen
würde! Habe ich etwa die Spermabanken erfunden? Wo doch bei mir das Zeug bis jetzt geradezu vergeudet worden ist! (Sie lacht.)
Ich hätte nie ans Sparen gedacht! Eine Schnapsidee, diese Banken! Na ja, aber ich will nichts gesagt haben. Wo ich doch im
Dienst der Wissenschaft mein Brot verdiene. Genau! Das müßte er doch verstehen, der Alte. Von Kollege zu Kollege! Seine Frau
auch! Und was die Höhe ist, sie macht alles selber, wo das meine Arbeit ist! Und nicht genug, daß sie mich beleidigen muß,
ist sie noch wütend auf mich! Weil ich den Pimmel ihres Mannes sehe. Aber ich muß ihn doch sehen, um einzusammeln, was er
gespart hat! Aber nein, von dir abgesehen, keine Achtung! Der große Schwede, na mit dem ist es noch schlimmer! Doc, unvorstellbar,
dieser Kerl! Verachtung bis zum Geht-nicht-mehr! Kein einziges Wort! Ich bin für ihn sozusagen gar nicht da! Und wenn ich
anfange, ein toter Mann! Das braucht eine irre Zeit!«
Als wir zu Ricardo in die Küche kommen, hat er vor seinem leeren Glas beide Ellbogen auf den Tisch gestützt und heult.
»Jesus Maria!« sagt Bess. »Wer hat mir einen solchen Chauffeur aufgehalst! Kaum bin ich fünf Minuten weg, plärrt er schon!«
»Nicht deswegen, Miss Bess«, sagt Ricardo, während ihm die Tränen die Wangen hinunterlaufen, »aber ich habe den Doktor gehört.
Da hab ich mich erinnert.«
»Was mußtest du auch horchen, du Lümmel«, sagt Bess, während sie sich neben ihn setzt und ihren Arm um seine Schultern legt.
»Geben Sie ihm noch einen, Doc, und vergessen Sie mich nicht. Dieser arme Kleine«, sagt sie, während sie Ricardos Taschentuch
aus seiner Hosentasche holt und ihm die Augen wischt. »Er kommt nicht drüber hinweg. Es ist ja auch hart für ihn, daß er einen
Weichen hat!«
Sie lacht, und Ricardo sagt würdevoll:
|272| »Darüber soll man sich nicht lustig machen, Señor«, sagt er und wendet sich an mich, als ob ich eher in der Lage wäre, ihn
zu verstehen, »wenn ich mit meiner Frau in Puerto Rico schlief, hab ich es so genossen, daß ich das ganze Haus geweckt hab!
Und die Nachbarinnen, die rüttelten dann ihre Männer und sagten: ›Hörst du? Das ist Ricardo! Und du, du schläfst, du Lahmarsch!‹
Und weil es um die Ehre ging, fingen sie auch an! Und ich, Señor«, sagt Ricardo abschließend voller Stolz, »ich hatte allen
einen guten Dienst erwiesen.«
Die Tränen laufen über seine Wangen.
»Denk nicht mehr dran, laß es«, sagt Bess und zieht seinen Kopf an ihre Schulter. »Wenn die Epidemie zu Ende ist, wird man
dir vielleicht die Dinger von einem Unfalltoten ranmachen können. Das ist doch möglich, nicht wahr,
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