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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Beraterin.«
    Kurze Pause.
    »Das ist ein Aufstieg«, sage ich, abweisender als beabsichtigt.
    Aber Anita bemerkt meine Zurückhaltung nicht. Sie hört mir nicht zu. Sie sieht mich kaum. Ihre grünen Augen glänzen lebhaft,
     triumphierend wirft sie ihr mahagonifarbenes Haar zurück und sagt mit Feuer: »Es ist ein wunderbarer Aufstieg, Ralph! Aber
     nicht nur für Sarah und für mich! Für die Frau! Überleg doch, Ralph! Wenn Sherman stirbt, wird Sarah die erste Präsidentin
     der Vereinigten Staaten.«
    Ich überlege, da man mich ja dazu auffordert. Ich empfinde |32| keine besondere Sympathie für Sherman. Ich habe ihn zwei- oder dreimal auf dem Bildschirm gesehen, er ist ein Mann von fünfundvierzig
     Jahren, von athletischer Gestalt und jünger aussehend. Niemand hätte auch nur eine Sekunde lang auf den Gedanken kommen können,
     daß der Tod ihn in absehbarer Zeit bedrohen würde – gäbe es nicht, wie Anita taktvoll sagt, die
Umstände
. Und ich möchte schwören, Anita ist nicht die einzige, die sich diesen Tod ausmalte, ihn voraussah und sogar herbeiwünschte.
     Zu irgend etwas ist das Unglück also nütze, weil es – wie waren ihre Worte? – diesem »wunderbaren Aufstieg« dient.
    »Laß mir trotzdem ein oder zwei Krapfen«, sage ich nach einer Weile.
    Anita hört auf zu kauen, wirft einen Blick auf den Teller, sieht mich an und fängt an zu lachen. Ich lache auch, etwas verspätet
     und ohne Freude.
     
    Erfüllter Wunsch. Eingetretene Prophezeiung. Die Epidemie rafft Präsident Sherman einen Monat nach seiner Wahl dahin, und
     Sarah Bedford nimmt das Schicksal der Vereinigten Staaten in ihre festen kleinen Hände.
    Zu diesem Zeitpunkt bin ich nicht mehr in Washington. Ich wohne also weder dem Aufstieg Sarah Bedfords noch dem gleichzeitigen
     Aufstieg Anitas bei. Mich hat der Helsingforth-Konzern engagiert, und ich leite in Blueville (Vermont) ein Laboratorium für
     virologische Forschungen über die Enzephalitis 16. Dave ist bei mir.

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    |33| ZWEITES KAPITEL
    Blueville (Vermont)
    Ich habe überlebt, das ist wenigstens etwas. Die Zukunft erscheint mir dennoch ungewiß. Ich gehöre bis auf Widerruf zu jener
     Handvoll Amerikaner, die von den Zeitungen als PMs
(protected men)
bezeichnet werden. So nennt man die auf ökonomischem oder wissenschaftlichem Gebiet wichtigen Persönlichkeiten, für die eine
     PZ
(protected zone)
geschaffen wurde, um sie vor der Ansteckung zu bewahren.
    Wie ich schon in meinem Bericht betonte, wird die Enzephalitis 16 nicht durch einen Zwischenwirt – wie die Mücke oder die
     Zecke – übertragen, sondern ausschließlich durch direkten Kontakt von einem Kranken in der Inkubationsphase auf den gesunden
     Menschen. Daraus folgt, daß die gegenüber der Krankheit biologisch immunen Personen, die Frauen und die Knaben im vorpubertären
     Alter, sich den PMs nähern können, ohne sie anzustecken. Dagegen kann ein männlicher Erwachsener erst nach einer Quarantäne,
     die der Dauer der Inkubationszeit entspricht, als gesund gelten und ohne Risiko in die Einfriedung einer
Schutzzone
aufgenommen werden. Und eben das geschah mit mir bei meiner Ankunft in Blueville.
    Der Bundesstaat Vermont, der dem Franzosen Champlain (Kanada ist nicht weit) den so treffenden Namen verdankt, hat mit seinem
     Nachbarstaat Maine eine bestimmte Anzahl von Orts- oder Flurnamen gemeinsam, die auf -ville enden. Ich habe Spaß daran, mir
     auszumalen, wie der auf den Franzosen folgende englische Kolonisator im Falle von Blueville – es ist keine größere Siedlung,
     sondern eine Ranch – aus dem französischen
bleu
das englische
blue
machte und es dabei bewenden ließ, weil er zu müde war, »ville« durch
city
oder
town
zu übersetzen. Das Klima ist in Blueville ziemlich frisch, vor allem für jemanden, der zehn Jahre in Washington gelebt hat.
     Aber wenigstens sind die Ebenen grün, außer wenn Schnee liegt. Und die Berge, deren Grün dunkler ist, sind von wunderbaren
     Nadelbäumen bedeckt.
    |34| Blueville ist ein recht zusammengewürfeltes Gebilde. Das Haus selbst hat nichts von dem, was man sich gewöhnlich unter einer
     Ranch vorstellt. Es ist ein Landsitz im pseudogotischen Stil, der in diesem Land für viele Universitätseinrichtungen verwendet
     wird. Es hat den Nachteil, den Gebäude solcher Art immer haben: Es ist nicht authentisch. Ich zweifle daran, daß man es selbst
     in dreihundert Jahren fertigbringen wird, das Gebäude schön zu finden. Wegen seiner riesigen Ausmaße und seines

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