Die geschützten Männer
gequälten
Stils nennen wir es ein bißchen ironisch »das Schloß«. Es hat wenigstens den Vorteil, geräumig zu sein und alle Einrichtungen
unseres Gemeinschaftslebens unter einem Dach zu vereinen: Cafeteria, eine mit wissenschaftlichen Werken sehr gut ausgestattete
Bibliothek, Vortragssaal, Salons und im Souterrain einen geheizten Swimmingpool.
Im Schloß selbst leben nur sehr wenige Menschen. Der Verwalter, Mr. Barrow, und seine Frau; der Arzt Dr. Rilke; die Privatsekretärin
von Mrs. Helsingforth, Emma Stevenson. Mike, der Koch, seine beiden Gehilfen und die drei Aufwartefrauen wohnen im Souterrain.
Es sind alles Weiße. Auf der ganzen Ranch sieht man keine Schwarzen. Es heißt, daß Mrs. Helsingforth, die absolute Herrscherin
dieser Stätte, ihren Anblick nicht erträgt. Das ist um so erstaunlicher, als man sie selbst nie sieht.
Die Laboratorien und die Unterkünfte der Wissenschaftler befinden sich in Holzbaracken, die rund um das Schloß errichtet wurden,
wo eigentlich der Park sein müßte. Um aber den Holzbauten Platz zu machen, wurden viele Bäume gefällt, und das Ganze ist von
einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben, der die Landschaft nicht gerade verschönt.
Der einzige Zugang zu diesem Gelände wird von Milizionärinnen bewacht. Ihre Baracke unterscheidet sich von unseren in zweierlei
Hinsicht: sie ist länger und an einem Ende von einem hölzernen Wachtturm flankiert, der alle Gebäude überragt. Auf der von
einem Schindeldach bedeckten, aber nach allen vier Seiten offenen Turmspitze befindet sich ein Beobachtungsposten mit einem
schweren Maschinengewehr, das sich voll um seine eigene Achse drehen kann. Im Winter habe ich oft die wachhabende Milizionärin
bedauert, die bei sibirischer Kälte zwei oder drei Stunden hintereinander auf dieser Hühnerstange ausharren muß, in einen
Pelz eingemummt, die Pelzmütze |35| bis in die Augen gezogen, das Fernglas an einer Kette. In der Nacht folgt ein starker Scheinwerfer der Drehbewegung des Maschinengewehrs,
mit dem er irgendwie gekoppelt ist.
Die Ranch ist ebenfalls von einem kilometerlangen Stacheldrahtzaun umgeben, hat mir Stienemeier versichert. Ich habe von alledem
nichts gesehen, ich bin nachts im Auto angekommen und schlief, Daves Kopf an meiner Schulter. Ich habe die Umzäunung der Ranch
nie gesehen, obwohl ich mit Jespersen und Stienemeier lange Ausritte zu Pferd über hektargroße Wiesen und Gebirgszonen mache.
Jespersen leitet ein »Projekt«, das sich von meinem unterscheidet. Stienemeier ebenfalls. Was sie machen, ist mir unbekannt.
Wir haben die Auflage, einander nichts über unsere Arbeit zu sagen. Ich weiß nicht, warum Mrs. Helsingforth diese Geheimhaltung
von uns verlangt, aber obwohl wir es absurd finden, haben wir uns bisher daran gehalten. Jespersen, der Chemiker ist, hat
kaum die Dreißig überschritten: er ist groß, sein Haar ist von skandinavischem Blond, er hat einen hellen Teint und Augen
von eisigem Blau, aber im Widerspruch zu diesem Äußeren ist sein Auftreten fröhlich und ungezwungen.
Stienemeier nennen wir »Stien«, weil er seinen Vornamen Otto verabscheut, und seine Frau »Mutsch«, weil er sie so nennt. Jespersen
sagt über Stien, daß er »eine Last an Jahren, weißen Haaren und Schuppen zu tragen hat«, aber in Wirklichkeit kann er höchstens
sechzig sein. Sein Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen, und er hat unter den Augen Tränensäcke. Seine graublauen Augen,
die zwischen den Tränensäcken und Falten wie gefangen sind, scheinen sich nur mühsam einen Weg zu seinen Mitmenschen bahnen
zu können. Aber der Blick ist lebhaft, jung und kämpferisch. Über sein Spezialgebiet hinaus besitzt Stien eine erstaunliche
Allgemeinbildung. Seine äußere Erscheinung wirkt nicht gerade strahlend. Er ist klein, kleiner noch als ich, gebeugt, hat
schmale Schultern, eine eingefallene Brust. Dennoch reitet er mit Jespersen und mir am Sonntag nachmittag aus, und wenn es
ihm gelungen ist, auf der kleinen Stute aufzusitzen, die ihm vorbehalten ist, gibt er eine gute Figur ab. Er hat eine ausgesprochene
Vorliebe für den Galopp, vielleicht deshalb, weil er nicht gerne zu Fuß geht. Sein Gang ist ziemlich ungewöhnlich. Er macht
sehr kurze, vom Knie ausgehende Schritte, wobei die Hüften steif zu bleiben |36| scheinen. Er setzt seine sehr kleinen Füße von rechts und von links so, daß sich die Schuhspitzen leicht nach innen kehren.
Obwohl Stien ebenso wie Mutsch ein weiches
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