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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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über Lautsprecher die Aufforderung stehenzubleiben,
     bis zwei berittene Milizionärinnen deinen Namen notieren und dich bis zur Unterkunft begleiten. Die Milizionärinnen sind höflich,
     aber voller Verachtung. Es hat keinen Zweck, mit ihnen ein Gespräch anknüpfen zu wollen. Wenn sie dich eskortieren, wirst
     du in die Mitte genommen und gehst im Schnee zwischen den Pferden. Dein Kopf befindet sich in Höhe ihrer Stiefel, und du kommst
     dir plötzlich vor wie ein Schwarzer, der in den Südstaaten von berittener Polizei verhaftet worden ist.
    Tags darauf findest du auf deinem Schreibtisch eine Mitteilung von Mr. Barrow, dem Verwalter. Er bedauert, zehn Dollar Strafe
     vom Gehalt abziehen zu müssen, weil du gegen die Regeln von Blueville verstoßen hast.
    Wenn du rückfällig wirst, erhältst du eine zweite Mitteilung von Mr. Barrow und eine zweite Strafe, die zwanzig Dollar beträgt.
     Aber diesmal wir die Maßnahme durch folgenden kurzen Brief verschärft.
     
    Dr. Martinelli,
    eine Sache beunruhigt mich in Ihrem Fall: Ihre Unfähigkeit, sich der Disziplin von Blueville unterzuordnen. Wollen Sie in
     Zukunft den ernsthaften Versuch machen, diese Nachlässigkeit abzustellen?
    Hilda Helsingforth
     
    Wenn man einen solchen Liebesbrief von jemand erhält, den man nie zu Gesicht bekommen hat, der aber zu jeder Minute über Tod
     und Leben entscheiden kann, bleibt es jedem überlassen, sich die Wirkung selbst auszumalen.
    Mir leuchtet ein, daß die Milizionärinnen dazu da sind – wie die offizielle Version in Blueville lautet –, uns vor Banden
     zu schützen, die sich das allgemeine Chaos zunutze machen könnten, um gewaltsam in die Ranch einzudringen und sich unserer
     Vorräte zu bemächtigen. Diese sind in der Tat in einer Baracke neben dem Wachtturm gelagert. Ich begreife auch, daß wir Energie
     sparen müssen. Sie wird in Blueville mit Hilfe eines Wasserfalls erzeugt, der sich auf dem dortigen Gelände befindet. Die
     Nachtruhe ist also gerechtfertigt, und in gewissem Sinne auch das Verbot, sich nachts zwischen den Baracken zu |39| bewegen. Ab zehn Uhr will die Verwaltung die Gewißheit haben, daß kein Wissenschaftler Gefahr läuft, von den Milizionärinnen
     für einen Plünderer gehalten zu werden.
    Bedeutend weniger verständlich ist die Schärfe, mit der diese Anweisungen ausgeführt werden, und die geringe Achtung, die
     wir genießen. Letzten Endes sind wir keine Parasiten. Wir sind mit Aufgaben betraut, die eine sehr hohe wissenschaftliche
     Spezialisierung erfordern. Wovon lebt die große Firma, bei der wir angestellt sind? Hat sie ihre Macht und ihren Besitz nicht
     Wissenschaftlern wie uns zu verdanken? Wenn es mir gelingt, ein Serum gegen die Enzephalitis 16 zu entwickeln, wird diese
     Entdeckung Mrs. Helsingforth bei kommerzieller Nutzung ein riesiges Vermögen einbringen. Und dennoch werde ich beim geringsten
     »Fehler« wie ein Schüler abgekanzelt, der sich schlecht aufführt, und man droht mir ziemlich unverblümt, mich vor die Tür
     zu setzen, wenn ich mich nicht bessere.
    Wir sind außerdem kleinlichen, sinnlosen Schikanen ausgeliefert. Es ist verboten, ein Transistorgerät zu besitzen, und im
     Schloß gibt es weder Rundfunk- noch Fernsehgeräte, zumindest nicht in den uns vorbehaltenen Räumen. Wenn wir aber an der Baracke
     der Milizionärinnen vorübergehen, können wir durch das geöffnete Fenster den Bildschirm flimmern sehen. Johnny, der achtjährige
     Sohn von Mrs. Pierce, blieb eines Tages gebannt vor dem Fenster stehen, und Mrs. Pierce dachte sich nichts dabei. Augenblicklich
     ist eine Milizionärin aufgestanden und hat, ohne Johnny eines Blickes zu würdigen, ihm das Fenster vor der Nase zugemacht
     und die Vorhänge zugezogen.
    Indessen bekommen wir die Presse, aber drei bis vier Tage verspätet und nur in wenigen Exemplaren. Außerdem fehlen aus unerklärlichen
     Gründen bestimmte Nummern, woraus man schließen muß, daß sie zensiert worden sind. Übrigens fragt man sich verständlicherweise
     nach dem Grund, denn in dem Maße, wie die Zeitungen an Umfang abnahmen, verloren sie an Qualität. Es ist erschreckend, wie
     seicht sie sind. Die Informationen sind verkümmert, und die einst so kraftvolle Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik
     hat einem offiziellen Schnurren Platz gemacht.
    Mir fällt auf, daß in den Publikationen, die wir erhalten, immer seltener von der Enzephalitis 16 die Rede ist und daß |40| niemals Statistiken aufgeführt werden. Präsidentin

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