Die geschützten Männer
Sie die Wagentür ordentlich zu!«
Was zählt aber schon das schwache Geräusch, das ich inmitten der ohrenbetäubenden Schießerei verursacht habe? Es ist so absurd,
daß ich nicht einmal antworte. Aber ich habe Lust, mit den Zähnen zu knirschen. In diesem Augenblick gibt es zwischen Burage
und mir wenig Liebe.
Die Schießerei läßt nach, verebbt mit drei, vier vereinzelten Schüssen und bricht ab. Ich weiß den Wert des eingetretenen
Schweigens zu schätzen, obwohl ich darauf gefaßt bin, daß diese Pause gerade so lange dauern wird, sich daran zu gewöhnen.
Erneut langes Warten, dann taucht Jackie, deren Haut jetzt viel dunkler ist, zwischen den Tannen aus der Nacht auf, die noch
einige Fetzen des Tageslichts bewahrt hat. Jackie ist ohne Sprechfunkgerät, ohne Waffen, aber wir sehen deutlich ihr strahlendes
Lächeln.
»Es ist alles gelaufen!« sagt sie schwungvoll.
Sie bringt den Jeep zum Stehen, wendet und fährt mit eingeschalteten Scheinwerfern auf die Straße zurück. Wir folgen ihr.
Drei Kilometer weiter werden wir von einer bewaffneten Gruppe angehalten. Der Trupp steht voll im Scheinwerferlicht des Ford:
zwanzigjährige Mädchen und Jungen, angezogen |325| wie Jackie, grünliche Jeans, braune Pullis und gelbbraune Armbinden. Ein Mädchen löst sich aus der Gruppe und nähert sich
dem Ford-Lieferwagen.
»Bist du der Doc mit dem Serum?« fragt sie fröhlich.
»Ja.«
»Steck deinen Kopf ein bißchen aus dem Auto, damit ich dich sehe.«
Ich gehorche.
»Na prima, Väterchen, du bist Klasse«, sagt sie und reckt sich zu mir empor. Und küßt mich auf den Mund.
Ich weiß nicht, ob ich über die Anrede vergnatzt oder über den Kuß erfreut sein soll. Ich sage ein bißchen aufs Geratewohl:
»Wie geht’s im Untergrund?«
Sie lacht.
»Prima Leben: man liebt sich und man kämpft.«
Dann lacht sie wieder und geht mit langen Schritten, wiegendem Gang und schwingenden Hüften davon. Ich glaube, sie war nicht
sehr sauber. Aber sie hatte frische Lippen, und ihr Kuß schmeckte nach Kräutern. Wir fahren langsam weiter. Die bewaffnete
Gruppe schwenkt ihre Waffen, als wir an ihr vorbeifahren. Zum erstenmal spüre ich den Atem der Freiheit. Ich werfe einen versöhnenden
Blick zu Burage. Sie sitzt bleich und verkrampft hinter dem Steuer.
Auf der amerikanischen Seite wird die Zollkontrolle von einer anderen bewaffneten Gruppe durchgeführt, stärker als die vorige
und bedeutend weniger überschwenglich. Ich sehe unter ihnen einige »Alte«. Und geschwärzte, müde Gesichter. Vielleicht hatten
sie während des Angriffs Verluste.
Ein denkbar kurzer Aufenthalt am kanadischen Kontrollpunkt. Man erwartet uns offensichtlich. Burages und mein Gesicht werden
kurz mit einer Taschenlampe angestrahlt, eine Handbewegung, und wir fahren weiter, ohne auch nur das geringste Papier vorzuzeigen.
Burage stößt einen Seufzer aus und bringt den Wagen einige Meter weiter zum Halten.
»Ralph, würden Sie das Steuer übernehmen?«
Wir tauschen die Plätze, und ich nehme mir die Zeit, Dave zu sagen, daß er sich jetzt bequem ausstrecken kann. Als ich losfahre,
immer hinter Jackies Jeep her, werden wir von einem Schwarm weiblicher Motorradfahrer eskortiert. Wir werden weiter beschützt,
jetzt von kanadischer Seite.
|326| Eine heftige, aber ziemlich entfernte Schießerei wird hinter uns laut.
»Ein Gegenangriff?« frage ich.
Burage sieht auf ihre Uhr und schüttelt den Kopf.
»Nein. Ein drittes Kommando ist im Begriff, Blueville einzunehmen.«
Ich ziehe fragend die Brauen zusammen.
»Und welches Ziel hat diese Operation?«
»Drei Ziele«, sagt Burage, die bleich auf ihrem Sitz hockt. Mir fällt auf, daß ihre Stimme sehr müde wirkt, aber sie bleibt
bei ihrer gewohnten Methode. »Zum ersten, den Sender von Blueville zerstören. Zum zweiten, die am stärksten gefährdeten Personen
entführen: Mrs. Barrow, Rita, Grabel, Pierce, Smith und die Stiens. Zum dritten, die Arbeitsprotokolle des Jespersen-Projekts
beschlagnahmen. Es versteht sich von selbst, daß auch Jespersen entführt wird, zwar nicht ganz in dem Sinn wie die anderen,
doch wir erwarten von ihm eine Aussage und eine Selbstkritik.«
Ich schweige voller Bewunderung. Das
Wir
hat nichts vergessen. Durch die Enthüllung des Jespersen-Projekts wird die Kriegsmaschinerie gegen Bedford um eine überaus
wirksame Waffe verstärkt.
Als ich so meinen Gedanken nachhänge, schlägt sich Burage plötzlich die Hände vors Gesicht und
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