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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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meinen Zeitplan nicht eingehalten und seid fünf Minuten zu früh am Wachtturm gewesen.«
    Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Sie hat recht. Schuld ist Burage, die mich so drängte, als ich die schlafenden
     Bess und Ricardo abhorchte. Ich rücke meine weiße Kappe zurecht und nehme wieder meinen Platz ein. Dabei bemerke ich, daß
     mein Mund blutet und mein Zahnfleisch weh tut. Die liebenswürdigen Mädchen haben mich ganz schön zugerichtet.
    Wir fahren. Blueville und sein Wachtturm bleiben hinter uns zurück. Ich presse mein Taschentuch auf die Wunde. In diesem Augenblick
     fühle ich mich vor allem gedemütigt – durch die Art, wie man mich behandelt hat, durch meine Verkleidung, durch den Schnurrbart,
     durch das grüne Abzeichen, das auf meiner Brust brennt. Wenn ich nicht befürchtete, aufs neue den Befehlen zuwiderzuhandeln,
     würde ich es aus dem Fenster werfen. Nein, ich verlasse Blueville gewiß nicht mit Glanz und Gloria.
    Der Lieferwagen fährt langsam auf einer unbefestigten Straße und ruckt einige Male. Burage reißt ihren Aufputz und ihre Perücke
     herunter, schüttelt ihr mahagonifarbenes Haar, wendet sich zu mir und sagt plötzlich wutentbrannt: »Ich stelle |323| fest, daß Sie trotz allem fähig sind, eine Initiative zu ergreifen, wenn Ihr Sohn auf Hilfe angewiesen ist!«
    Ich bin außer mir. Das ist die Höhe, der Gipfel der Ungerechtigkeit! Als ob ich nicht auch ihr geholfen hätte! Und als ob
     das
Wir
mir die geringste Entscheidungsfreiheit gelassen hätte, seit es die ganze Angelegenheit in die Hand genommen hat. Ich ertappe
     dich in flagranti bei einem sexistischen Reflex, Burage! Man behandelt mich wie einst die Frauen, als wäre ich unmündig; man
     fragt mich nicht, man verbietet mir, irgend etwas zu unternehmen, und wenn ich nichts unternehme, wirft man es mir vor! Das
     Taschentuch an die Lippen gepreßt, drücke ich mich wortlos in meine Ecke, blicke in die Nacht hinaus und vermeide, so gut
     ich kann, den Fahrer anzusehen.
    Ein düsteres Zukunftsbild: Dave und die Sorgen, die ich mir um ihn mache. Eine eifersüchtige Frau, deren Eifersucht nicht
     einmal Dave verschont. Eine zweite, von mir schwangere Frau, die mit uns flieht. Beide maßen sich Rechte auf mich an, da sie
     mich »schützen«. Ah, ich vergaß meine zärtliche Ehefrau Anita, von der ich nicht geschieden bin, soweit ich weiß. Ich habe
     das Gefühl, das eine Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht zu haben.
    Ich schaue in die Nacht hinaus. Mein Zahnfleisch blutet. Von Zeit zu Zeit spucke ich etwas Blut in mein Taschentuch. Wie bitter
     erscheinen mir, wenn ich darüber nachdenke, die ersten Augenblicke der Freiheit.
     
    Ungefähr zwei Kilometer hinter Blueville bringt Burage den Ford am rechten Straßenrand zum Stehen. Wir warten wortlos. Ein
     Jeep taucht auf, ein Kopf zeigt sich an der Wagentür, es ist Jackie; sie überholt uns in langsamer Fahrt und bedeutet uns,
     ihr zu folgen.
    Sechs oder sieben Kilometer weiter verläßt der Jeep die Straße und schlägt einen Waldweg ein, der sich zwischen Tannen hindurchschlängelt.
     Dämmerlicht, das kaum ausreicht, um ohne Scheinwerfer zu fahren, das sich aber ganz plötzlich aufhellt, als wir auf eine Lichtung
     kommen. Jackie springt vom Jeep und sagt uns in knappem Tonfall: Bleibt im Ford sitzen, sprecht nicht und regt euch nicht
     auf, wenn ihr Schüsse hört.
    Daraufhin geht sie zum Jeep zurück, legt ihre Uniform ab und zieht ein paar verblichene grüne Levis mit ausgebeulten |324| Knien und einen braunen Rollkragenpullover an, dessen linker Ärmel eine gelbbraune Binde trägt. Dann schnallt sie das Koppel
     mit dem Revolver um, hängt das Gewehr über die Schulter, rollt ihre Uniform zusammen, wirft sie auf den hinteren Sitz des
     Jeeps und entfernt sich mit einem Sprechfunkgerät in der Hand. Ich verliere sie bald zwischen den Tannen aus den Augen.
    Wieder langes Warten. Eine heftige Schießerei beginnt. Ich lege die Hand auf den Türgriff, und Burage fragt: »Wo wollen Sie
     hin?«
    »Dave beruhigen.«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind. Haben Sie nicht die Befehle gehört?«
    Ich zucke die Achseln und steige aus dem Ford, öffne den hinteren Wagenschlag und sage leise ein paar Worte zu Dave. Ich taste
     nach seinem Gesicht: In seine Decken eingemummt, schwitzt er. Ich verschaffe ihm Luft und spitze die Ohren. Die Schießerei
     geht weiter. Ich setze mich wieder neben Burage, die in schroffem Ton sagt: »Ausgezeichnet! Genieren Sie sich nicht! Knallen
    

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